Zivilisten im Nordirak zwischen allen Fronten

■ Türkische Soldaten beschießen Dörfer / Irakische Armee greift den Norden an / Neue innerkurdische Kämpfe / Kinkel: Keine Beweise für Einsatz deutscher Waffen

Sacho/Bonn (AP/dpa/taz) – Die türkischen Invasionstruppen haben gestern am neunten Tag ihrer Offensive einen Stützpunkt der PKK-Rebellen in der Region Chakurk nahe der Grenze zum Iran erobert. Zugleich wurde die Grenze zwischen dem Irak und Syrien östlich von Sacho abgeriegelt, um den Rebellen den Rückzug abzuschneiden.

Unterdessen gingen neue Berichte von Übergriffen der türkischen Soldaten auf die Zivilbevölkerung im Nordirak ein. Bewohner der Region Batufa bezeugten gegenüber der Nachrichtenagentur AP, daß in der vergangenen Woche die Dörfer Begowa und Keschan von türkischen Kampfflugzeugen und Artillerie angegriffen worden seien. Nach Informationen der taz wurden auch die Bewohner der Ortschaften Sida, Grave und Teli in die Flucht getrieben. Gestern abend nahmen türkische Truppen das Dorf Hamsik ein, wobei flüchtende Bewohner beschossen wurden. Ein schwedischer Mitarbeiter einer Hilfsorganisation erklärte, die türkischen Soldaten mißhandelten Zivilisten und bedrohten Frauen in der Umgebung von Sacho.

Neben den Operationen der türkischen Streitkräfte gegen Stellungen der PKK im Nordirak ist es im unbesetzten Teil des autonomen Kurdengebiets auch wieder zu innerkurdischen Kämpfen gekommen. Wie der Sender „Stimme des irakischen Kurdistans“ gestern berichtete, lieferten sich Anhänger der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) mit der Patriotischen Front Kurdistans (PUK) heftige Gefechte in der Umgebung der Stadt Erbil. Die PUK hatte den Hauptort der kurdischen Schutzzone im Januar erobert und beschuldigt die KDP der Zusammenarbeit mit den türkischen Streitkräften. Die irakische Armee hat nach Angaben der Hilfsorganisation „Help“ kurdische Dörfer in der UN-Schutzzone beschossen. Wie die Organisation gestern mitteilte, greift die irakische Armee seit Tagen kurdische Dörfer mit schweren Geschützen an.

Kinkel: Keine Beweise für Einsatz deutscher Waffen

In Bonn beschloß die Regierungskoalition gestern einvernehmlich, 150 Millionen Mark Militärhilfe für die Türkei zu sperren. Das Geld war als Finanzierungszuschuß für den Bau von zwei Fregatten auf deutschen Werften vorgesehen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen nannte die deutsche Sperre der Militärhilfe „unglaubwürdig“. Zuletzt habe Bonn am 7. April 1994 nach Hinweisen über die Verwendung deutscher Waffen gegen die PKK einen Waffenlieferstopp erlassen, der aber bereits am 4. Mai wieder rückgängig gemacht worden war.

Außenminister Klaus Kinkel erklärte am Montag abend, es gebe derzeit keine eindeutigen Beweise, daß die türkische Armee Panzer deutscher Herkunft gegen Kurden einsetze.

Aus der gestern vorgelegten Expertise für das Auswärtige Amt geht hervor, daß „bei keinem der gezeigten Kampffahrzeuge eine eindeutige Zuordnung zu nur aus Deutschland geliefertem Kriegsgerät möglich“ ist. Klinkel und der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Jörg Schönbohm, werden heute vormittag in einer von den Fraktionen Bündnis 90/Grüne und der SPD beantragten Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses zur Türkei-Politik der Bundesregierung Stellung nehmen. kim