Mehr Verstand für alle

■ Und Vergißmeinnicht auf der Avus: Die BVG sammelt Vorschläge und Ideen zum Klimagipfel auf einer "Mitmach-Wand" im U-Bahnhof Wittenbergplatz

Die Berliner sind Superökologen und ihrer Regierung weit voraus. Jedenfalls diejenigen, die sich per Zettel auf der „Mitmach- Wand“ der BVG am U-Bahnhof Wittenbergplatz mit Ideen zum Klimagipfel verewigt haben. Verbot privater Autofahrten, Nulltarif bei den Berliner Verkehrsbetrieben, mehr Radwege und Fußgängerzonen – all diese Forderungen tauchen wie selbstverständlich immer wieder auf. Denn: „Wir sollten wissen, daß wir die Natur brauchen, obwohl uns die Natur nicht braucht“, weiß ein besonders kluger Zettelschreiber. „Haase muß weg, Kohl muß auch weg“, findet ein anderer, „und das Parkplatzkonzept schafft nur Platz für die Reichen und Neureichen.“

Die Berliner sind Pflanzenliebhaber. Nach „mehr Grün“ verlangen viele. Einige allerdings nach ganz speziellem: „Hanf als Treibstoff für Busse“, oder: „Mehr Pflanzen irgendwo – besonders Skunkus mirabilis“. Ob Skunkus mirabilis wohl auch in den „Feuchtbiotopen“ wächst, die, wie manche fordern, in der City angelegt werden sollen? Oder auf der Avus? „Wir pflügen die Avus um und säen Vergißmeinnicht!“ kündigen anonyme Großstadtpoeten an. Andere sind da prosaischer: „Wenn jede Familie einen kleinen Baum anpflanzt, wäre die Luft in Berlin sicherlich erträglicher.“

Die Berliner sind verkappte Hippies. „Licht und Liebe!“ wünscht sich jemand auf seinem Zettel. „Es sollte keine Schlägerei geben“, träumt eine BVG-Benutzerin. Eine andere möchte „einen Wochentag zum Tag der Freundlichkeit erklären“ lassen. Nach „Love, Piece and Unity!“ sehnt sich ein Blumenkind nach dem Weltfrieden oder nach einem kleinen Piece Haschisch? Ein anderer kühner Träumer findet die Klimakatastrophe gar nicht so schlecht: „Ein paar Grad wärmer“ wäre doch schön, und „in der Innenstadt nur BVG, Fahrräder, Elektroautos und Straßenkünstler“.

Die Berliner sind weltoffen. „Mehr Ausländer, mehr Kultur, mehr Verständnis“, wird auf einem der Zettelchen gefordert. Oder: „Mehr Rechte für Homosexuelle!“. Oder: „Zweitsprache Englisch für mehr Multikulti“. Oder ganz schlicht: „Mehr Verstand für ALLE“. Oder auch, von seiten eines Neuberliners: „Unter Deutschen und Auslender sollte gleichberechtikeit sein.“

Die Berliner sind bisweilen klein. „Ich darf nicht allein nach draußen zum Spielen weil Mutti immer Angst hat das mir etwas pasiert. Das mich ein Auto überfahrt“, schreibt ein Kind. Ein anderes hat noch einen Osterwunsch übrig: „Wir brauchen ein Riesen Kindertrampolin“. Und ein Schüler hat allen Grund zur Beschwerde: „Im Winter sollten die Großen Pausen kürzer sein, oder die Schüler dürfen in den warmen Klassenraum rein! Sonst müssen wir alle ziemlich frieren!“

Die Berliner haßlieben ihre BVG. „Speisewagen in allen U-Bahnen“, fordert der eine, „man sollte Kotztüten in den U- und S-Bahnen verteilen“, verlangt der andere. „Preise senken, Fahrkarten verschenken“, wünschen sich so manche U-Bahn-Fahrenden von den Berliner Verkehrsbetrieben. Die staatstragenden Kräfte unter den Berlinern werden jedoch von der tiefen Sorge um die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse der BVG so umgetrieben, daß sie sogar zum Dichter werden: „Es ist nicht gut, einfach einzusteigen, ohne den Fahrausweis vorzuzeigen. Denn das verlockt zur Schwarzfahrttour, und BVG macht minus nur.“ Ute Scheub