Sanssouci
: Vorschlag

■ Schütz' „Werwölfe“ am Deutschen Theater

Foto: David Baltzer

Hätte Intendant Langhoff im Parkett nicht ebenso verkrampft-verquält gelächelt wie die unter Buhregen mit Autor im Schlepptau auf die Bühne eilende Regisseurin, wäre es vielleicht ein masochistischer Befreiungsschlag gewesen. Stefan Schütz' „Werwölfe“, urinszeniert von Tatjana Rese, ein perfekt geplanter dramaturgischer Super-GAU, kalkulierter Knebel gegen die ewigen Forderungen nach Gegenwartstexten auf der Bühne des Deutschen Theaters?

1980 kam Theaterautor Stefan Schütz aus der DDR in den Westen, um dort, wie er damals meinte, seinen ersten Roman „Medusa“ zu beginnen. „Ich habe den Wechsel von einem Deutschland in das andere in Kauf genommen, um dieses Buch zu schreiben“, heißt es im Vorwort. „Ich habe alles in Kauf genommen, die Existenz aufs Spiel gesetzt, die Gesundheit ruiniert, die Einsamkeit mir verschafft, nur, um mit dem ersten Satz in der ersten Nacht meines Seins im anderen Teil Deutschlands beginnen zu können.“ Literatur als Leiden, der Text ein einziges profitloses Opfer, wie er in einem Interview verriet. Seine jüngste Opfergabe hat Schütz nun aus ein paar Stückchen Marx und Lenin, zwei, drei Fetzen Utopiediskussion, ein wenig Sowjetgeschichte, Partisanenpathos und der Geschichte des russischen Serienmörders Andrej Tschikatilo zusammengemixt.

Schräg trötet die Bolschewistische Kurkapelle, dann Arbeiter im Chor: „Hier stehen wir, die man das werktätige Volk nannte, des Sowjetstaats, der nicht mehr existiert ... und warten auf unseren Messias.“ Im Chaos der Glasnost, einer „neuen Dunkelheit, in die uns die Geschichte hineinzieht“, wartet das Volk auf den roten Partisanen, der auf einem weißen Pferd durch die Städte galoppieren und Rache nehmen soll für den Verrat. Verrat gibt's genug: An der Oktoberrevolution, an der Utopie, der Dialektik, am Menschen. An allem.

Jede Zeile ein Gedanke, muß des Autors Motto beim Schöpfen der „Werwölfe“ gewesen sein. Auf Teufel komm raus vielsagend viel sagen, z.B. „es lechzet unsere Seele nach Speisen, die voll Schicksal sind“ oder „ich sitze am Rande meiner sinnlos gewordenen Seele“. Die Gesellschaft retten will Tschikatilo, durch Vivisektion einzelner ihrer Mitglieder – insgesamt waren es vierundfünfzig –, während die Gesellschaft selbst, des „mächtigen Pfades“ beraubt und des Erretters harrend, unisono postrevolutionäre Platitüden schmettert. Diskret verschwinden lassen oder ironisieren, persiflieren, parodieren, halt irgendwie brechen hätte man die „Werwölfe“ müssen, statt sie in den Kammerspielen des Deutschen Theaters zur proletarischen Resonanzkatastrophe breitzustampfen. Bei Tatjana Rese tragen Arbeiter doofe Arbeiterkäppis, ihre Frauen abgewetzte Mäntel und plumpe Schuhe, ragt der rostige Stahlträger wie aus einer Eisenstein-Fabrik auf die rostige Baustellenkulisse, weht die rote Fahne im Wind der Windmaschine, wird Todernstes todernst rezitiert. Wie beim Indianerspielen am Kindergeburtstag trampelt die postsozialistische Gesellschaft durchs sperrige Bühnenbild, formiert sich hin und wieder artig zum Chor der Werktätigen. Tschikatilo, der sich an den Eingeweiden einer Frauenpuppe bedient und vom Wohl des Volkes faselt, ein ausgehungerter Partisanentrupp, der im Kampf um die revolutionäre Sache zartes Kinderfleisch mampft – ausgelutschte Bilder für ebenso ausgelutschte Zweck-heiligt-die Mittel-Debatten. Und die Glasscheibe, die den Bühnenraum in Vorder- und Hintergrund teilt? Womöglich Symbol für Tschikatilos innere Teilung in Massenmörder und geschäftiger Teilnehmer an der Fahndung nach sich selbst. Oder gar Sinnbild des vereinten und doch geteilten Deutschlands, von dem selbstverständlich auch die Rede ist.

„Wartet nur, bis unsere Werwölfe westwärts ziehen und Maß nehmen für den himmlischen Frieden“ heißt es in einer Schützschen Bedeutungsblase, im syntaktischen Schraubstock den Bogen spannend vom Tiananmen-Massaker zu russischen Serienmördern und Bildzeitungsängsten vor der Russenmafia. Wäre solches Geschwafel nicht in Tatjana Reses Plumpsacknaturalismus inszeniert, käme womöglich noch jemand auf die Idee, darüber nachzudenken. So bleibt alles in der infantilen Ästhetik einer postsowjetischen Muppetshow, einschließlich der Figur des „Schweins von Tschernobyl“, einer aufgebrachten, männlichen Miß Piggy, mit der Schütz kurz vor Schluß versucht, noch ein bißchen absurd zu werden.

„Fliegende Broadways, auf deren Wimpernspitzen knisternd klebt das elektrische Licht im Wechselstrom: Hammer und Sichel.“ Man möchte ein Hämmerchen nehmen und dem Autor gegen die opferbereite Stirn klopfen. Katja Nicodemus

„Werwölfe“ von Stefan Schütz in einer Inszenierung von Tatjana Rese, Bühne und Kostüme: Rainer Wiesemes, Musik: Wolfgang Siuda (es musizieren Mitglieder der Bolschewistischen Kurkapelle). Nächste Vorstellungen: 1., 2. und 7. April, jeweils 19.30 Uhr in den Kammerspielen des Deutschen Theaters