■ Das Kunststück des Klimagipfels
: Meinungsfreiheit, geteilt durch CO2

Die Welt ist nicht kleiner geworden. Das merkt sofort, wer sie aufräumen will. Zum Beispiel die UNO. Die Organisation soll ja nicht nur Welt-, sondern auch Umweltpolizist spielen. Weltklimakonferenz in Berlin: Das ist Greenpeace plus Bürokratie im Mischungsverhältnis 1:100.

Natürlich ist das Thema furchtbar kompliziert. Wobei sich die Beteiligten auch redlich bemühen, es dabei zu belassen. Da wären zunächst die Klimaforscher, die ja gewissermaßen die Geschäftsgrundlage liefern. Sie durften sich endlich einen größeren Computer anschaffen, denn es besteht sogenannter Forschungsbedarf. Ihre ursprüngliche Vermutung: Wegen der vielen Abgase, die wir gen Himmel schicken, könnte sich unser Klima unerfreulich ändern.

Über Jahre haben sie deshalb Szenarien und Modelle entworfen, Planstellen geschaffen und Rechner gefüttert. Nach einer arbeitsintensiven Schleife im Super-Computer kam der versammelte Sachverstand jetzt zu dem endgültigen Ergebnis: Wegen der vielen Abgase, die wir gen Himmel schicken, könnte sich unser Klima unerfreulich ändern. So landen auch Großforscher unweigerlich bei der Erkenntnis, die uns schon Asterix schenkte: Wenn der Himmel einstürzt, sind wir alle tot.

„Vorsorge vor einer Klimaveränderung ist auch ohne letzte Gewißheit über die Gefahr zu treffen“, heißt es folgerichtig in der Klimakonvention, die 1992 von allen in Rio unterschrieben wurde. Der verwirrte Bürger erschrickt und versteht eigentlich nur zwei Dinge: Erstens muß er irgendwie ein schlechtes Gewissen haben. Zweitens: Wenn eine Milliarde Chinesen erst einmal Toyota fährt, ist sein Verhalten ziemlich unerheblich. Also muß er doch kein schlechtes Gewissen haben.

Ja, was denn nun? In dieser Situation schlägt die große Stunde der Buchhalter-Ökologie. Anhand von Weltmodellen wird minutiös vorgerechnet, wieviel Ressourcenverbrauch welcher Nation bei einer gerechten globalen Verteilung noch zusteht. Ungerechtigkeiten sollen mit Geld ausgeglichen werden. Komplizierte Gedankengebäude jonglieren mit Plus- und Minuspunkten. Alleine die UN- Wunschliste „Agenda 21“ beinhaltet 2.500 Empfehlungen. Die Delegationen bilanzieren mit Faktoren wie „Anteil der Bevölkerung mit hygienischer Fäkalienentsorgung“ oder „Anzahl gewählter Volksvertreter pro einer Million Bürger“.

Letzteres hebt auf einen kleinen, aber feinen Unterschied ab: Sind Wohlstand und Ressourcen-Verbrauch einigermaßen demokratisch verteilt, oder profitiert nur eine winzige Oberschicht? Das führt zwangsläufig zum „menschlichen Freiheits-Index“ (HFI – „Human Freedom Index“) und der interessanten Frage: Wie rechne ich Meinungsfreiheit in Kohlendioxid um?

Was der europäischen Bürokratie ihr Butterberg, das ist den Vereinten Nationen ihr Kohlendioxid- Gipfel. Je besser die Bildung in einem Land, desto höher das Einkommen, der Konsum und somit die CO2-Fahne pro Kopf. Daraus folgt in bezug auf das Klima eine aparte Gleichung: Je höher das Umweltbewußtsein und das Wissen um ökologische Zusammenhänge, desto umweltschädlicher verhalten sich die Menschen. Es gilt also zu verhindern, daß der Rest der Welt genauso umweltbewußt wird wie wir.

Auf den zweiten Blick betrachtet verzerren die einfachen statistischen Aufrechnungen mitunter die Verhältnisse. Die Ressourcen, die da in den reichen Nationen verbraucht, verfeuert und verfressen werden, sind ja oft Rohstoffe, auf deren Export die armen Länder dringend angewiesen sind. So hegen die erdölexportierenden Länder wenig Begeisterung für das Dreiliter-Auto. Das paradoxe Ergebnis: Wenn die Reichen verzichten, werden die Armen oft noch ärmer. In der Wissenschaft komplexer Systeme heißt so etwas „rückkoppelnde Wechselwirkungen“, und die treten nicht nur beim Klima, sondern auch beim Weltwirtschaftssystem in Erscheinung.

Genau wie die vagabundierenden Kapitalströme gibt es auch immer mehr vagabundierende Energie, die sich nicht so ohne weiteres einem Land zuordnen läßt. Das beste Beispiel ist ja der Flugverkehr, bei dem bislang vergeblich darum gestritten wird, auf wessen Klimakonto er gebucht werden soll. Die Vielflieger symbolisieren gewissermaßen die wohlhabende Internationale der Energiesünder.

Ein brasilianischer Geschäftsmann, der nach Deutschland fliegt, darf sich dennoch besser fühlen als ein deutscher Geschäftsmann, der nach Brasilien fliegt. Denn jeder hinzukommende Mensch am Existenzminimum verbessert rechnerisch die CO2-Bilanz eines Landes. Und in Brasilien wächst das Heer der Armen jeden Tag. Sie sind dem brasilianischen Geschäftsmann zwar in der Regel völlig schnuppe, aber als Argument für jegliches Öko-Dumping allemal willkommen. So gibt es denn eine neue Form von Leibeigenschaft: den CO2-Sklaven.

Wo ist nun der Ausweg aus dem Irrgarten? Gut gemeinte alternative Verzichtsmodelle haben keine Chance, weder hier noch in der Dritten Welt: Die Chinesen wollen definitiv keine Fahrräder bei uns kaufen. Das Zauberwort in der Umweltdebatte heißt deshalb „sustainable development“, zu deutsch: nachhaltige Entwicklung. Der Begriff ist deshalb konsensfähig, weil sich jeder etwas anderes darunter vorstellen darf. Ursprünglich hatten die Ökologen dabei so etwas wie eine Ökonomie im Sinn, die nach Art der Forstwirtschaft nur soviel abholzt wie sie anpflanzt. Klingt gut, der Teufel steckt allerdings im Detail. Grob vereinfacht: Der nachwachsende VW-Golf will erst einmal erfunden sein. Und wenn er dann nachwächst, was wird aus Volkswagen?

Inzwischen streiten die Gelehrten bereits darum, ob es nicht auch eine Nummer kleiner gehe, nämlich „nachhaltiger“ als bisher. Wobei das Wort ja schon einen Widerspruch in sich birgt: Entweder ist eine Sache nachhaltig oder eben nicht. „Sustainable Development: Für eine neue Qualität des Wachstums“, verkündete der Chemiekonzern Hoechst in Großanzeigen und zeigte einen kleinen blonden Jungen: „Spätestens in 20 Jahren weiß er, was das heißt.“ Hoffentlich.

Aussichtsreicher erscheint da schon der Fluchtweg Richtung „Effizienz-Revolution“. Man stelle sich dazu einen Liter Erdöl mit der Unterzeile vor: „Ich bin zehn Liter Erdöl.“ Schrittweise sollen dank High-Tech immer weniger Energie und Rohstoffe in den Produktions- und Verkehrsablauf gesteckt werden. Die Optimierungsmöglichkeiten sind vorhanden, wirtschaftliche Anreize werden kommen. Das Ganze soll ohne allzu großen Komfortverzicht für die Konsumenten möglich sein, scheint also mehrheitsfähig.

Dafür spricht zudem eine psychologische Konstante, die seit vielen Jahren unverändert gilt: Vom Atomkraftwerk bis zum Farbfernseher haben die armen Länder bislang noch jeden unserer grandiosen technischen Einfälle übernommen. Warum soll dies zur Abwechslung nicht mal mit etwas Intelligentem geschehen? Dirk Maxeiner

Freier Autor, bis 1993 Chefredakteur bei

„natur“