Sie will unsichtbar sein und ist doch da

■ Ein paar Stangen Zigaretten und ein schlampiger Rechtsanwalt sind schuld, wenn Phuong Tran Thi augewiesen wird / In Hanoi erwartet sie und die Kinder keine Zukunft

Berlin (taz) – Klein und schmal sitzt Phuong Tran Thi auf der Couch, als wollte sie sich unsichtbar machen. Eigentlich ist sie ja auch gar nicht mehr da. Am 6. Januar hat die Berliner Ausländerbehörde ihr den Paß abgenommen und gegen eine Grenzübertrittsbescheinigung getauscht. Innerhalb von zehn Tagen sollte Frau Thi samt ihrer beiden Töchter die Bundesrepublik Deutschland verlassen. In welche Richtung? Das wissen selbst die deutschen Behörden nicht, denn das Heimatland Vietnam will Landsleute wie Frau Thi bislang nicht haben.

Phuong Tran This Zukunft und die ihrer beiden Kinder hängt an fünf Stangen Zigaretten. Die hatte sie an jenem 4. September 1991 bei sich. Durch den Verkauf von unverzollten Zigaretten habe sie gezeigt, „daß sie nicht gewillt ist, die zum Schutz der Allgemeinheit erlassenen Gesetze zu beachten“, urteilten die Behörden und verurteilten Frau Thi zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 10 Mark.

Damit gehört Phuong Tran Thi zu den ehemaligen DDR-Vertragsarbeitern, die durch alle aufenthaltssrechtlichen Löcher fallen.

Phuongs Tran This Geschichte in Deutschland begann im Jahr 1987. Da ließ sie den Mann und die beiden kleinen Kinder in Hanoi zurück, um die Chance zu nutzen, die das sozialistische Bruderland DDR versprach. Als Näherin bei „VEB-Herrenbekleidung Fortschritt“ nähte sie tagsüber Schlaufen und schickte Pakete an die Familie in Vietnam. Das ging, bis der Betrieb 1991 seine sämtlichen Vertragsarbeiter entließ. Phuong Tran This Arbeitslosengeld reichte nicht aus, um davon zu leben und die Familie zu ernähren. Aus Angst, ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren, traute sie sich nicht, zum Sozialamt zu gehen. Sie versuchte, durch den Verkauf von Zigaretten zu überleben.

Eine Tätigkeit, von der Frau Thi damals gar nicht ahnte, daß sie strafbar ist. Und schon gar nicht konnte sie zum damaligen Zeitpunkt wissen, was zwei Jahre später geschah: Da wurde eine Bleiberechtsregelung für Vertragsarbeiter ausgehandelt, aus der diejenigen ausgeklammert wurden, die vorbestraft sind. In Berlin hätte Frau Thi dennoch eine Chance haben können: geringfügige Strafen unter 90 Tagessätzen, so besagte eine Sonderregelung des Berliner Innensenats, sollten kein Hindernis für eine Aufenthaltsbefugnis sein. Doch Phuong Tran This Anwalt verschlampte es, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Und inzwischen gilt diese Berliner „Amnestieregelung“ nicht mehr. Auch mit einer geringfügigen Strafe von 20 Tagessätzen gilt Frau Thi nun als vorbestraft im Sinne der Bleiberechtsregelung. Phuong Tran Thi hat für ihr Leben in Deutschland einen teuren Preis bezahlt. Während ihrer Zeit als DDR-Vertragsarbeiterin durfte sie ihre Familie nicht besuchen. Ihre Ehe ging kaputt. Frau Thi holte die Töchter nach Deutschland. Die 15jährige Hang und ihre zwölfjährige Schwester haben inzwischen ein kleines Kunststück vollbracht: Nach zweieinhalb Jahren Berlin sprechen sie fast fehlerfrei Deutsch. Zu ihrem Geburtstag Ende Dezember wünscht sich die zwölfjährige Ha vor allem „einen Gameboy und einen Weihnachtsbaum“. Wenn es nach der Berliner Ausländerbehörde geht, wird es diesen Geburtstag zumindest in Deutschland nicht geben. Vera Gaserow