Wenn der VS klingelt...

■ Asylbewerber aus Algerien sollte ausgehorcht werden / Ziel: Informationen über Fundamentalisten / Gängige Praxis

Düsseldorf (taz) – Angemeldet hat sich das Pärchen, das Anfang Februar bei der algerischen Familie F. vor der Tür steht, nicht. Kaum in die Wohnung vorgelassen, beginnt die amtliche Fragerei. Die algerischen Eheleute sind mißtrauisch, befürchten das Schlimmste. Voller Angst verläßt Frau F. durch eine Hintertür die Wohnung, um Hilfe zu holen.

Wenig später trifft Beate N. vom örtlichen Flüchtlingsrat ein. Jetzt stellen sich die beiden Personen als „Mitarbeiter des Düsseldorfer Innenministeriums“ vor, unterwegs, um eine „wissenschaftliche Studie“ über die Fluchtursachen von anerkannten Asylbewerbern zu erstellen. Auf Verlangen zeigen sie Dienstausweise.

Zurück in ihrer Wohnung macht sich Beate N. daran, die Angaben zu überprüfen. Die beiden haben gelogen. Die Ausländerabteilung im Innenministerium kennt weder die Personen noch den angeblichen Auftrag.

Schnell kehrt Beate N. zur Familie zurück. Das mysteriöse Paar ist schon verschwunden. Trickbetrüger? Geheime Abgesandte aus islamisch-fundamentalistischen Kreisen? Geheimdienstspäher im Auftrag der algerischen Regierung? Solche Gedanken gehen Familie F. durch den Kopf. Beate N. weiß, daß Herr F. „schreckliche Angst vor seinen eigenen Leuten hat“. Mit Politik „will die Familie nichts mehr zu tun haben. Die wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden.“ Die örtliche Polizei teilt mit: Alles hat seine „Richtigkeit“. Das Pärchen ist im Innenministerium bekannt – nur die Dienststelle will die Polizei nicht nennen.

Bei Beate N. löst die Auskunft „äußerstes Befremden“ aus. Sie schreibt einen Brief an Innenminister Herbert Schnoor, denn „Ihre Beauftragten haben bei der Familie F. erneute Unsicherheit, Angst und Panik hervorgerufen“. Wenige Tage später lichtet sich der Nebel. Ministerialrat Hüylmanns, stellvertretender Leiter des hiesigen Verfassungsschutzes, klärt vor Ort höchstpersönlich auf. Beate N. zufolge drückte der Düsseldorfer Abgesandte dabei sein „Bedauern“ über die „Verunsicherung“ der Familie F. aus. Aufgabe des Verfassungsschutzes sei es nun mal, extremistische Gefahren aufzuklären, und diesem Ziel habe auch das Gespräch bei der Familie F. gedient. Das „öffentliche Interesse“ sei in einem solchen Fall eben höher zu bewerten als das Ruhebedürfnis eines Flüchtlings. Demnächst steht der Fall auf Antrag des grünen Abgeordneten Roland Appel in der geheimen Parlamentarischen Kontrollkommission des Düsseldorfer Landtags auf der Tagesordnung.

Herr F. ist anerkannter Asylberechtigter. Von ihm erhoffte sich der Verfassungsschutz Informationen – V-Mann-Tätigkeit nicht ausgeschlossen – aus dem fundamentalistischen Milieu. Nach der von algerischen Fundamentalisten verübten Flugzeugentführung am 24.12. 1994 – die Maschine sollte über Paris zur Explosion gebracht werden – greifen VS-Leute offenbar nach jedem Strohhalm, um, so ein hoher Mitarbeiter, „etwas Licht in das Dunkel der Aktivitäten algerischer Fundamentalisten zu bringen“. Von staatlicher algerischer Seite mit Verfolgung bedrohte Asylberechtigte zu befragen, „liegt da nicht so ganz fern“, bestätigt Fritz Achim Baumann, Chef des Düsseldorfer Verfassungsschutzes.

Daß Flüchtlinge nach ihrer Einreise vom „Bundesamt für Befragungswesen“, einer Tarnadresse des Bundesnachrichtendienstes (BND), systematisch ausgehorcht werden, ist seit langem bekannt. Ob der für die Inlandsaufklärung zuständige Verfassungsschutz in ähnlicher Weise mit allen anerkannten Asylberechtigten verfährt? Nach den Worten von Baumann findet in NRW eine systematische Befragung aller algerischen Flüchtlinge zwar nicht statt, aber die Familie F. werde „vermutlich nicht der einzige Fall sein“. Im übrigen sei ja durch seinen Stellvertreter vor Ort „alles bereinigt worden“.

Alles bereinigt? Im Fall der Familie F. könne sie zwar mit der amtlichen Erklärung „leben“, sagt Beate N., aber daß auf die „Verängstigung“ von Flüchtlingen „so wenig Rücksicht genommen wird, bedauere ich sehr“.

Walter Jacobs