Basisdemokratische Königswillkür

■ Verkauf des Tacheles an die Kölner Fundus-Gruppe beeinträchtigt den Alltag im Kulturzentrum vorerst nicht / Nach wie vor anarchistische Grundstimmung

Funken sprühen durch den Raum. Aus dem Ghettoblaster tönt Violinenmusik von Mozart. Ein mit Propangas betriebener Heizstrahler sorgt für punktuelle Wärme. Kemal Cantürk setzt seine Schweißerbrille ab und richtet sich auf. Besucher kommen bei winterlichen Temperaturen selten in seine Werkstatt im Erdgeschoß des Tacheles, weil nur im Sommer manchmal die Tür offensteht. „Falls ich nicht gerade meine Möbel entwerfe, finde ich es schön, wenn Leute sich meine Arbeit ansehen wollen. Dann nehme ich mir Zeit für sie“, erzählt er.

Der gelernte Schweißer und Bildhauer – mit seinen 44 Jahren ist er der älteste Mitarbeiter im Hause – war einer der Erstbesetzer des jetzigen Kunsthauses Tacheles im Bezirk Mitte. Gerne erinnert er sich an die anarchistische Atmosphäre der Wendezeit. „Wir haben hier auf der Straße gesessen mit Sofas. Jede zehn Minuten kam ein Auto vorbei“, erzählt er. Aber auch heute arbeitet er noch mit viel Enthusiasmus hier, weil andere Regeln gelten als in etablierten Kunsthäusern. „Basisdemokratische Königswillkür“ nennt er das Tacheles-Prinzip. Wer Engagement zeigt, setzt sich auch gegen die anderen durch.

Da die 300.000 Mark Fördermittel im Jahr vom Senat nur für die Kunst gedacht sind, müssen die Betreiber bei anfallenden Bauarbeiten am Gebäude improvisieren. Viel diskutiert werde im Moment im Vorstand über die Möglichkeit des Sponsoring. Warum sollte die Firma Otis nicht im Tacheles einen Aufzug bauen und dafür auf den Ausstellungsplakaten verewigt werden? Oder die Recyclingfirma Alba Baustoffe dafür liefern, daß das Tacheles für sie Reklame macht? „Ich nehme an, demnächst sind wir soweit, aber wir lassen uns nicht von jedem sponsern“, sagt Cafébetreiber Ludwig Eben.

Wie lange die letzten anarchistischen Züge aufrechterhalten werden können, weiß niemand so genau. Was sich mit dem Verkauf des Areals rund um das Gebäude an den Kölner Investment-Fonds verbinden wird, auch nicht. Kemal jedoch ist zuversichtlich: „Das Tacheles gehört ja dem Land Berlin. Für uns als Betreiber ändert sich mit dem Verkauf erst einmal gar nichts. Baubeginn auf dem benachbarten Johannishof-Grundstück ist sowieso frühestens in drei bis vier Jahren.“ Die Kölner Investoren gelten bei den Tacheles-Betreibern als das beste Übel, da ihr Bebauungsplan das Kunsthaus langfristig sichert. Auf dem Gebiet rund ums Gebäude sollen zu fünfzig Prozent Wohnungen entstehen. Wenn es allerdings nach den Künstlern selbst ginge, würde die freie Fläche als Skulpturenpark genutzt. „Berlin hätte es verdient, Kunst auf großem Raum auszustellen und nicht nur in Katakomben oder engen Galerien“, sagt Kemal.

Ausstellungsfläche ist auch im Kunsthaus Tacheles rar. Daher hat sich Kemal entschlossen, es seiner Nachbarwerkstatt gleichzutun und aus dem Arbeits- einen Präsentationsraum zu machen. Dann können die auf der Oranienburger Straße flanierenden Kneipenbesucher sich auch seine Werke ansehen.

Da Kemal findet, daß Kunstgegenstände auch genutzt werden sollen, stellt er hauptsächlich Möbel her. Ausschlaggebend dafür war damals die Einrichtungsaktion des Tacheles-Cafés. Nachdem die provisorische Inneneinrichtung von den Besuchern innerhalb kürzester Zeit gestohlen oder zerstört worden war, machten sich Kemal und andere Künstler daran, stabile Möbel zu bauen.

„Ich mag schwere Stühle, weil sie mit ihrem Gewicht den Platz selbst bestimmen. Einen 250 Kilo schweren Stuhl kann niemand so leicht vom Fleck bewegen“, sagt Kemal. Mit dem Cafébetreiber Ludwig Eben mußte er allerdings den Kompromiß schließen, daß Stühle und Tische zwar schwer aussehen können, aber trotzdem verrückbar sein müssen. Das Ergebnis ist eine Kombination aus hölzernen Sitzflächen und stählernem Gestell. Das Holz ist gekauft, den Stahl hat Kemal vom Schrott.

„Ich bin Schrottveredler. Wenn es geht, baue ich nur Möbel aus hundert Prozent Abfall, mit dem Anspruch, daß meine Produkte nie wieder weggeworfen werden, sondern von den nachfolgenden Generationen weiterbenutzt werden“, sagt er. In normalen Haushalten gebe es nur Gebrauchsgegenstände, die schnell kaputtgingen. Das fördere unter anderem die Unruhe.

Wenn der Künstler ohne Auftrag arbeitet, baut er gerne nur mit Metall. Zwei Stühle zieren im Moment seine Werkstatt. Verkaufen will er seine Schätze aber nicht unbedingt. „Es geht mir nicht darum, Geld zu verdienen, denn ich verstehe mich als Robin Art.“ Gerne würde er Möbel bauen, so erzählt er, die schön und gleichzeitig für alle Interessenten erschwinglich sind. Stefanie Ehnes