Unglaublich seltsame Nonne

■ Wir denken an „Soeur Sourire“, die heute vor zehn Jahren starb

Erst war sie die „Twistnonne“, der Popstar aus dem Kloster, dann die abtrünnige Nonne und zum Schluß die tragisch endende „Lesbe mit dem Heiligenschein“ – sich widerstreitende Klischees, die der Lebensgeschichte der Jeanine Deckers alias „Soeur Sourire“ den grellen Reiz eines Almodovar-Filmes geben. An einem solchen Ort mag zwar unglaublich seltsame Musik entstehen – bequem leben läßt es sich dort nicht.

Als junge Zeichenlehrerin tritt Jeanine Deckers 1959 in den Dominikanerorden ein und unterhält ihre Mitschwestern durch selbstgeschriebene religiöse Lieder, die zunächst zu Missionszwecken auf Schallplatte erscheinen, sich dann aber völlig überraschend prächtig verkaufen lassen. Mit dem fröhlichen Titel „Dominique“ (in der deutschen Version zieht der „zu Fuß und ohne Geld“ in die Welt hinaus – „und er sang an jedem Ort immer wieder Gottes Wort“) landet die singende Nonne 1963 gar einen veritablen Welthit und kreiert das Bild von der allzeit gutgelaunten Popnonne „Soeur Sourire“.

Aber auch wenn die Lieder der Soeur Sourire von bisweilen nervtötend fröhlichen Lalalas durchzogen sind, waren sie als unprätentiöse Gebrauchslieder für den Klosteralltag gedacht – unter dem Mantel schwesterlichen Trosts allerlei Glaubenszweifel.

Vom Erfolg ermutigt, verläßt Jeanine Deckers das Kloster – und fällt als singende Laienschwester Luc Dominique wieder aus allen Kategorien heraus. Für das Poppublikum klingen ihre Lieder zu brav, für die Kirche sind ihre Texte zu modern und hintergründig. Als réligieuse yé-yé umwehte sie noch ein Hauch frohgemuter innerkirchlicher Dissidenz. Jetzt, in Tweedrock und Pumps, läuft sie Gefahr, als Schlagersängerin mit moralisch-christlicher Sendung durchzugehen. 1963 waren fröhliche Kirchenpoplieder wie „Danke“ oder die afrikanischen Gesänge aus der „Missa Luba“ noch echte Neuheiten.

Doch die Zeiten und Moden haben sich geändert, und neue Stars wie Bob Dylan sind 1967 noch weit davon entfernt, ihrerseits das Lob des Herrn anzustimmen. Da hilft es auch nichts, daß die singende Exnonne mit „La Pillule d'Or“ ein Loblied auf die gerade erfundene Anti-Baby-Pille schreibt oder in „Bain de Soleil“ Gottes Allgegenwart selbst in der Radioaktivität bejubelt. Umwerfend merkwürdige Schallplatten.

Doch nicht genug damit, daß die Luc-Dominique-Platten floppen: Dem Finanzamt gegenüber gerät Jeanine Deckers in Beweisnot, was aus ihren Einnahmen als Soeur Sourire gworden ist. Die Sängerin scheint nicht weltgewandt genug gewesen zu sein, Spendenquittungen einzufordern und aufzubewahren. Rettung könnte noch vom ehemaligen Orden kommen, der stets vier Fünftel ihrer Einnahmen kassiert hatte. Doch die Mutter Oberin läßt entnervt verlauten, die fragliche Dame habe schon vor Jahren Kloster und Orden verlassen.

Um die Steuerschulden vielleicht doch noch begleichen zu können, tritt Jeanine Deckers zu Beginn der achtziger Jahre die Flucht nach vorn an und nimmt ein Remake von „Dominique“ auf – ein neuer Flop. Zusammen mit Annie Pecher, ihrer Freundin seit Verlassen des Klosters, leitet sie für kurze Zeit ein Heim für autistische Kinder, aber auch dies muß aufgrund der Steuernachforderungen schließen.

Heute vor zehn Jahren schieden die beiden Frauen mit in Cognac aufgelösten Schlaftabletten aus dem Leben. Wenigstens ihr letzter Wunsch, in einem gemeinsamen Grab beigesetzt zu werden, wurde ihnen von der Kirche erfüllt. Reinhard Krause