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Wand und BodenSchnäpse einer Ausstellung

■ Kunst in Berlin jetzt: Dan Mihaltianu, Oladele Ajiboye Bamgboye, Egon Schrick

Das ferne Dröhnen der Gewehrfeuer der 48er Revolution begleitete Theodor Fontanes Einzug als Apotheker ins Bethanien. Als „Theodor Fontane Apotheke“ wird der erhalten gebliebene Raum dem Publikum durch eine Glastür präsentiert. Ebenfalls durch die Glastür zu erspähen sind Dan Mihaltianus DESTILLATE, die Schnäpse seiner Ausstellung, die das Kunstamt Kreuzberg organisierte. Der rumänische Künstler hat die kleinen Flaschen zwischen Apothekerdosen aus Porzellan gestellt, die als Aloe, Rad. Helenü, Ungt. Elemi, Fabae alb. plv. und andere geheimnisvolle Stoffe etikettiert sind. Mihaltianus Getränke sind nicht weniger geheimnisvoll. Sie tragen Namen, die durch wundersame Zeichnungen auf dem Etikett ergänzt gleichfalls Anlaß zum Nachdenken geben. „Official History Brandy“ zeigt Karten aus Ruanda, Haiti, Ex-Jugoslawien, Israel, Kambodscha und merkwürdigerweise auch vom Standort Wünsdorf. Die „limitierte Auflage von Alkohol aus Frucht, Gemüse, Pflanzen und anderem organischen Material“ ist „historischen, sozialen und politischen Ereignissen, Erinnerungen, Persönlichkeiten und Plätzen gewidmet.“ Der „Blaue Engel“ zeigt Marlene Dietrichs Grabstein, die Etiketten des „Stalinallee Wodka“ dokumentieren Werbung an der ehemaligen Luxusmeile. Ausgangspunkt der Beschäftigung mit Alkohol war der Hunger in Rumänien nach dem Krieg, und ein Großvater, der dagegen mit Pflaumenschnaps aushelfen konnte.

Bis 16. 7., tägl. 8-22 Uhr

Zwei Stockwerke höher im Studio II des Künstlerhauses Bethanien erinnert sich auch Oladele A. Bamgboye, bislang für seine Körperfotografien bekannt, seiner Großeltern. „Well without end“ installiert/simuliert auf acht Diaprojektoren einen Raum inmitten organischen Materials, das wir als Dschungel bezeichnen – als schaute man durch Panoramafenster hinaus ins Freie. Auf der Stirnwand des Ateliers läuft die Filmdokumentation seiner ersten Reise nach Nigeria, nachdem er zwölfjährig mit seinen Eltern nach Schottland auswanderte. 16 Jahre später kehrt er zu Besuch zurück. Folgt man den Szenen des ländlichen Afrikas, irritiert einen im Rücken ein kleiner, in die Wand eingelassener TV-Monitor, dessen Geräusche immerhin bedeuten, was man nicht sehen kann, ohne sich umzudrehen: fallendes, schnell fließendes Wasser. „Floating, the fish and I“ setzt den Strom großstädtischer Menschenmassen gegen das natürliche Strömen des Wassers. Auch das ländliche Afrika zeigt Menschenmassen, doch hier verweben sich die Menschen zu Gruppen, driften auseinander und versammeln sich wieder in einer paradox ruhigen Beweglichkeit. Der Stau, der Wasserfall ist einer der städtischen Kultur. Wir drehen ihm gerne den Rücken zu: Well without end.

Bis 9. 4. tägl. 14-19 Uhr außer Mo., Mariannenpl. 2, Kreuzberg

Ein anderes Afrika, taucht in den Zeichnungen Egon Schricks auf: Ruanda I-IV, 1994, zeigt Flüchtlingszüge und Massengräber in einer angedeuteten Landschaft. Die „Ästefresser von Screbrenica“, 1993, sind in eine analoge Umgebung gestellt. Der Krieg egalisiert seine Opfer, aber die trauernde Kunst entpolitisiert die bezeichneten Ereignisse. Konkreter wird Schrick, dem in der bemerkenswerten Ausstellungshalle des Rathauses Schöneberg eine Retrospektive zu seinem 60. Geburtstag gewidmet ist, in seinen Aktionen. „Israel Palästina“, eine Performance zum Nahostkonflikt, ist über Video und sogenannte Spurentücher für den Betrachter rekonstruierbar. Individuelle Namen, Schalom Ben-Chorin oder Sahar Khalifa, stehen hier gegen israelische Soldaten; steinewerfende Jugendliche gegen die Figur des Zionisten oder des Hamas-Anhängers. Für Egon Schrick ist die Zeichnung die Grundlage seiner künstlerischen Arbeit. Bei den Performances setzt er seine wilden Körpergesten ein, um den Kohlestift auf großen Nesseltüchern in Bewegung zu bringen, wenige rote Farbe kommt als direkter Körperabdruck hinzu. Die Zeichnungen, die Dokumentationen vielfältiger Aktionen (in Berlin unter anderem „Speerachse – eine Aktion zur Deutschen Mitte“ oder „Raster Berlin – eine Aktion zur Deutschen Ordnung“), die Objekte samt Plänen und die Fotos zeigen einen rastlosen Künstler von einem strikt moralisch bewegten politisch-melancholischem Temperament.

Bis 13. 4., Rathaus Schöneberg, Mi.-Fr., So. 15-19 Uhr; und Galerie Querformat, Apostel-Paulus- Str. 35, Mi.-Fr. 15-18, Sa. 11-14 Uhr. Brigitte Werneburg

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