Rohes Sauerkraut gegen die innere Leere

■ Zwischen Winterschlaf und Frühjahrsmüdigkeit wird der Übellaunige auf besonders harte Proben gestellt / Gedichte und Schokoladenkekse sollen gegen Miesepeter helfen

Haben Sie so richtig gute Laune? Ja? Tatsächlich? Dann klopfen Sie sich mit der rechten Hand auf die linke Schulter. Oder umgekehrt. Sie können die kleine Geste auch von einem Kollegen oder Lebenspartner verlangen. Schließlich haben Sie sich Respekt und Anerkennung verdient, in diesen Tagen, da die meisten Ihrer Mitmenschen mißmutig durch den Schneematsch schlurfen und miesepetrig das Arbeitsklima vergiften.

Immerhin gehören Sie zu einer exotischen, fast ausgestorbenen Randgruppe, der jegliches Kapitulieren vor Massenströmungen wie Winterschlaf und Frühjahrsmüdigkeit fremd ist. Gutgelaunt steigen Sie morgens aus dem Bett und beleben Ihren Körper mit Gymnastik, eiskalten Duschen, den harten Borsten medizinischer Massagebürsten und Sauerkrautsaft und Blutreinigungstee schon zum Frühstück.

Trotzdem. Menschen wie Sie haben es im Moment nicht leicht. Fraglich, ob Sie jemanden finden, der Ihr heiteres, aktives Wesen zu würdigen weiß. Den Schlappen in Ihrer nächsten Umgebung gehen Sie mit Ihrem ständig demonstrierten Frohsinn wahrscheinlich schon längst auf die Nerven. Zu Recht! Denn nach allen medizinisch-meteorologischen Erkenntnissen befinden wir uns, die wir den ganzen Tag nur träge herumhängen, in einer besonders schwierigen Phase. „Der Übergang zwischen den Jahreszeiten kann wetterfühlige Menschen in tiefe Krisen stürzen“, erläutert der Psychologe Stephan Lermer. Der Organismus müsse durch die ständigen Wetterumschwünge so viel leisten, daß sich viele Menschen seelisch und körperlich völlig ausgelaugt fühlen. Und sollte dann doch einmal ein Sonnenstrahl unser Hormonsystem aktivieren und unsere Seele wärmen, ist erst recht Gefahr im Verzug. Lermer: „Gerade im Frühling, wenn alles blüht, fühlen sich die Menschen mit ihrer Leere und Einsamkeit von der Außenwelt isoliert.“ Die alljährliche Konsequenz: Zum Frühlingsanfang stürzen sich bei weitem mehr Unglückliche von Dächern oder vor Züge als zu anderen Jahreszeiten.

So sieht es also aus, und wahrscheinlich ist alles noch viel schlimmer: Joachim Burkhart, ebenfalls Psychologe, empfindet es als Unterstellung, den traurigen Menschen in Berlins U-Bahnen nur eine saisonal bedingte Frühlingsdepression zu attestieren: „Neben dem Zustand der Sinnentleerung muß einfach auch festgestellt werden, daß die Leute sozial immer schlechter behandelt werden.“ Äußerlich bedingte Konflikte wie Lohnkürzungen und Mieterhöhungen würden die seelischen Konflikte verschärfen. Da helfe es nicht, mal einen Frühjahrsputz zu machen, die Wohnung zu entrümpeln und das Fahrrad zu polieren: „Ist die Lage schlecht, hilft schönes Wetter auch nicht viel“.

Doch auch in Berufen mit hoher Frustrationstoleranz finden sich immer wieder gutgelaunte Menschen. Letztlich wurden sogar fröhliche Angestellte bei der BVG gesichtet. Im Wedding gibt es zum Beispiel einen Busfahrer, der die langweilige Linienfahrt mit Scherzen und Reimen in eine Erlebnisfahrt umfunktioniert hat. „Es ist einfach wichtig, offen und positiv durchs Leben zu gehen“, sagt der Berliner Sozialarbeiter und Hobby-Humorist Andreas Kruse, der sich nicht erinnern kann, wann er das letzte Mal in schlechter Stimmung war. „Es ist trotzdem oft sehr schwierig, die Leute zum Lachen zu bewegen“, fügt sein Kompagnon Ulrich Reinke hinzu. Seine erfolgreichsten Auftritte hatte Reinke beim Seniorenverein. „Die sind echt besser drauf, obwohl sie nichts zu lachen haben.“

So stehen wir dieser Tage also vor einer schwierigen Entscheidung: Dem fiesen Wetter eine fröhliche Stirn bieten, die Decke über die Ohren ziehen oder einfach konsequent schlecht drauf sein? Sollten Sie nicht in existentiellen Nöten sein, essen Sie einen Schokoladenkeks und baden Sie Ihre Seele ruhig ein bißchen in Selbstmitleid. Es kann alles nur besser werden. Simone Miller