: Russisches Roulette
■ Weil die offiziellen Gespräche über Beutekunst stagnieren, verlassen sich die Sammlererben auf private Verhandlungen
Besonders auskunftsfreudig sind die Leiter der russischen Staatsmuseen in Moskau und St. Petersburg noch immer nicht, auch nicht nach der zumindest teilweisen Öffnung ihrer geheimen Beutekunst-Depots. Doch im Vergleich zu den Pressesprecherinnen der beiden größten international tätigen Auktionshäuser sprudeln sie zur Zeit geradezu vor Informationen. Ganz anders dagegen sieht es in den Mutterhäusern von Christie's und Sotheby's an der Londoner Bond Street aus. „Kein Kommentar“ ist dort der einzige Kommentar. Wer sich für die Rolle der beiden Kunsthandelsgiganten in der deutsch-russischen Rückgabediskussion interessiert, bekommt das zu hören. Beiden Unternehmen ist es sichtlich unangenehm, daß die Tatsache ihres heftigen Engagements für die Erben der ursprünglichen Besitzer überhaupt publik geworden ist.
Seit die offiziellen Verhandlungen, bei denen Deutschland an der Rückgabe aufgrund des Nachbarschaftsvertrages von 1990 festhält, immer deutlicher in Richtung Sackgasse steuern, haben Sotheby's und Christie's begonnen, auf ebenso privatem wie geheimem Weg mit den russischen Behörden zu verhandeln – im Auftrag der Gerstenberg-Enkel Walter und Dieter Scharf und der Erben von Bernhard Koehler. Ein lukratives Geschäft: Sollte es nämlich zum Verkauf der wertvollen, weil berühmten und guterhaltenen Bilder kommen, erhielte das jeweils erfolgreiche Auktionshaus 10 Prozent der Zuschlagssumme vom Einlieferer und noch einmal bis zu 15 Prozent vom neuen Käufer. Allein die vier van Goghs aus der in Holzdorf bei Weimar erbeuteten Sammlung des Mannheimer Dampfkesselfabrikanten Otto Krebs (1873–1941) haben trotz des sich nur langsam erholenden Kunstmarktes einen Marktwert zwischen fünf und zehn Millionen Dollar – je Bild. Krebs hatte seine Kunstsammlung, die auch Werke von Cézanne, Renoir, Gauguin, Monet und Picasso umfaßte, vor seinem Tod testamentarisch der „Krebs- und Scharlach-Stiftung“ der Universität Heidelberg in Weinheim vermacht. Bis Kriegsende blieben die 98 Gemälde auf seinem Landgut in Holzdorf, vermutlich 1949 brachte sie Generaloberst Wassilij Tschuikow dann nach Rußland. In Heidelberg ist man, so die Auskunft der Universitätspressestelle, auch an privaten Verhandlungen über eine Rückgabe interessiert: „Das heißt aber noch nicht, daß die Werke danach verkauft würden.“ So einfach wäre das auch nicht, denn eine 62jährige Enkelin des Sammlers erhebt inzwischen ebenfalls Ansprüche.
Sollte die „Place de la Concorde“, das genial komponierte Hauptwerk von Edgar Degas aus der ehemaligen Sammlung des Versicherungsdirektors Otto Gerstenberg (1848–1935), unter den Hammer kommen, wäre sogar ein Zuschlag jenseits der 30-Millionen-Mark-Grenze sicher. Zwei unterschiedliche Modelle sind es, die die Experten von Christie's und Sotheby's ausgeklügelt und in den Privatverhandlungen auf den Tisch gelegt haben: Das eine sieht eine Beteiligung der russischen Museen am möglichen Verkaufserlös vor, das andere eine nur teilweise Rückgabe der Sammlungen bei Verbleib einiger Hauptwerke in Rußland. Als Erpressungsversuch sollen diese Angebote nicht verstanden werden, so der anonym bleiben wollende Mitarbeiter einer der beiden Londoner Firmen: „Die Erben wollen der russischen Seite mit dieser Geste dafür danken, daß sie die Bilder so lange aufbewahrt hat.“
Offiziell äußern sich auch die Erben nicht zu den zweigleisigen Verhandlungen. „Der Sache nicht dienlich“ fänden das die Gerstenberg-Erben. Dem Branchenblatt The Art Newspaper aber liegen Informationen vor, nach denen die Scharf-Brüder bereits früh über die Paris/New Yorker Kunsthandlung Wildenstein mit Hilfe von Sotheby's-Repräsentant Peter Batkin und dem russischen Anwalt Pligin versucht haben, Werke zurückzubekommen. Nach der Übersendung von Besitzurkunden an den stellvertretenden russischen Kulturminister Michail Schwidkoj habe auch bereits ein Gespräch mit Eremitage-Direktor Michail Piotrowskij stattgefunden. Batkin hat auch einen Erben des „Blauer Reiter“-Förderers Bernhard Köhler ausfindig machen können.
„Wir überlassen das der deutschen Regierung“, erklärte Peter Siemens, Sohn des Sammlers Friedrich Siemens, in St. Petersburg. Dort ist zur Zeit ein Degas aus dem Besitz seines Vaters ausgestellt. An Eugène Delacroix' Gemälde „Die Blumen“ vermißt der Erbe den Hinweis auf die Herkunft: „Sicher hätten wir das gerne zurück.“ In Moskau mehren sich unterdessen die Hinweise darauf, daß noch längst nicht alle „Spezfondy“-Depots geöffnet und gezeigt wurden. Ein europäischer Museumsmann bekam von einem seriösen russischen Kollegen den Hinweis, dieser habe in einem der Geheimlager Vincent van Goghs berühmtes Selbstportrait „Der Maler auf dem Weg zur Arbeit“ gesehen. Das aus der Sammlung des Magdeburger Kaiser-Friedrich-Museums stammende Gemälde gilt offiziell als 1945 im Salzbergwerk Neustaßfurt verbrannt. Sollte es den Krieg überlebt haben, müßte sich nach der Bremer Kunsthalle eine zweite öffentliche deutsche Sammlung an den Rückführungsverhandlungen beteiligen. Geschätzter Marktwert des van Gogh: 40 bis 50 Millionen Mark. Stefan Koldehoff
Die Hauptwerke unter anderem der Sammlungen Krebs, Gerstenberg, Koehler, Siemens bildet in Farbe die deutsche Ausgabe des Petersburger Ausstellungskatalogs ab. Sie erscheint am 1. Juli im Kindler-Verlag, München.
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