■ Deutsche, Polen und der 8. Mai
: Der Bundestag im Reparaturbetrieb

Gibt es im Bonner Kanzleramt keine Landkarte? Daß dem Historiker Helmut Kohl eine gewisse Sensibilität im Umgang mit der Geschichte abgeht, ist der Öffentlichkeit über die Jahre nicht verborgen geblieben. Aber ein Blick in den Atlas hätte den Kanzler doch davor bewahren müssen, die Polen von der Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 8. Mai auszusperren. Nur die Repräsentanten der Siegermächte USA, Rußland, Großbritannien und Frankreich gedenken gemeinsam mit den Deutschen nun in Berlin des Endes des Zweiten Weltkrieges. Die Grenze zu Polen aber verläuft 60 Kilometer östlich von Berlin, dessen Bürger dürfen nur zusehen.

Das Verhältnis zu Polen ist eben nicht dem zu Nachbarländern wie Dänemark, Luxemburg oder auch Tschechien gleichzusetzen, wie Kohl das in der Verteidigung seiner machtpolitisch inspirierten Einladungspraxis getan hat. Deutsche Armeen haben im Zweiten Weltkrieg Polen als erstes Land am 1. September 1933 überfallen, seine Städte zerstört, die Bevölkerung dezimiert. In Polen haben die Deutschen das Vernichtungslager Auschwitz errichtet. Die Polen dagegen haben sich mit der Besetzung nie abgefunden, haben während des ganzen Krieges – oft in den Armeen der Alliierten – gegen Nazideutschland gekämpft.

Schließlich haben Polen als erste gegen die 40jährige Sowjetherrschaft rebelliert, der sie der Hitler-Stalin-Pakt und der deutsche Überfall ausgeliefert hatte und haben damit auch ein Beispiel für die Bürgerrechtler in der DDR gegeben. Sie haben auch das Ende des Ostblocks eingeleitet, von dem kein Land mehr profitiert hat als Deutschland.

Das nicht würdigen zu wollen, ist ein Problem der deutschen Regierung, den entstandenen Schaden zu minimieren, ist im Interesse aller. Das Präsidium des Bundestags hat offensichtlich schnell verstanden, daß Schuldzuweisungen an die Regierung Kohl in dieser Lage nicht weiterhelfen und die deutsch-polnische Zukunft auf den politischen Konsens in der Bundesrepublik angewiesen ist. So hat der Bundestag mit der Einladung Bartoszewskis verhindert, daß aus Berlin Bitburg wurde.

Nicht zum ersten Mal hat das Präsidium als Vertreter aller Bundestagsfraktionen damit eine heikle Situation gemeistert und sich als überparteilicher Reparaturbetrieb verluderter Regierungspolitik empfohlen. Im Dezember hatte das Parlament gegen die Wankelpolitik Klaus Kinkels gegenüber der Türkei ein deutliches Zeichen gesetzt, als es für die verurteilten kurdischen Parlamentarier Partei nahm und sich für den Abschiebestopp von Kurden aussprach. Die Einladung an den polnischen Außenminister stellt dem Kabinett ein schlechtes Zeugnis aus und ist nicht zu unterschätzen – sie stammt vom Souverän. Hans Monath