Fälscher aller Länder fliegen auf Corot

■ Alle reden von Rückgabe - aber was bedeutet St. Petersburgs Beutekunst für die Fachwelt? Ein Interview mit Dr. Albert Kostenewitsch, dem Leiter der Forschungsabteilung der Eremitage und Experten...

Albert Kostenewitsch gilt neben Eremitage-Direktor Michail Piotrowski als zweiter Vater der Ausstellung „Verborgene Schätze“. Vor dreißig Jahren hatte er die Bilder zum letzten Mal zu Gesicht bekommen, bevor sie in Depots verschwanden. Nun hat er in nur zehn Monaten den Katalog zusammengestellt, der das Petersburger Spektakel erst zum wissenschaftlichen Ereignis machte. Über viele dieser Bilder wurde durch seine Arbeit erstmals eine Expertendiskussion eröffnet. Eine Sisyphusarbeit war vor allem die zweifelsfreie Zuordnung der Autorenschaft einzelner Bilder. Die zu ihnen gehörigen Dokumente – z.B. über Verkäufe – wurden nicht zusammen mit ihnen ausgelagert, viele gingen verloren. Kostenewitsch, ein überschlanker Mann im dünnen grauen Anzug, wirkte bei der Ausstellungseröffnung, als habe er sich die Recherche-Kosten vom Munde abgespart. In unserem Gespräch beweist der bescheidene Gelehrte den Spürsinn eines Sherlock Holmes.

taz: Bei den Vorarbeiten zum Katalog mußten Sie nach Rußland, Frankreich, die Schweiz und USA reisen. Wer hat das finanziert? Das Ministerium für Kultur der Russischen Föderation?

Albert Kostenewitsch: Na, hören Sie mal, seit wann gibt's denn so was? Nein, das habe ich einem ganz gewöhnlichen russischen Hochstaplertrick zu verdanken. Ich träumte davon, über ein ganz anderes Thema meine Dissertation zu schreiben, das ich dann liegenlassen mußte, aber doch immer wieder aufnehmen wollte. Schließlich stellte ich beim New Yorker „Trust for Mutual Understanding“ einen entsprechenden Antrag. Als aber mein Stipendium dort endlich bewilligt war, stand auch unser Entschluß fest, die Ausstellung „Verborgene Schätze“ einzurichten. Das Kultusministerium hatte ja erlassen, alle Museumsbestände auszustellen. „Wie wär's“, sagte ich zu Piotrowski, „wenn ich nebenbei ein bißchen was für unseren Katalog herausfände?“ Schon nach zwei Wochen merkte ich, daß sich die Arbeit am Katalog mit keiner weiteren Aufgabe vereinbaren ließ. Aber erst nach zwei Monaten hatte ich den Mut gefunden, meinen Sponsoren reinen Wein einzuschenken. Wir danken ihnen, daß sie mich weitermachen ließen.

Sie stellen in diesem Saal nur 74 Impressionisten und Postimpressionisten aus deutschen Sammlungen vor. Offiziell heißt es, daß 85 solcher Gemälde in den Magazinen aufbewahrt wurden. Entpuppten sich die elf, die sie zurückgehalten haben, als Fälschungen?

Nicht alle. Wir haben beispielsweise einen für mich unzweifelhaft echten Manet – aber die Signatur des Künstlers darauf ist gefälscht. Manet hat in der Regel alle seine Sachen unterschrieben. Ich kann das nur so erklären, daß irgend jemand aus seiner Umgebung das Bild signierte, bevor er dazu kam. Ich habe eine bestimmte Schülerin Manets in Verdacht, die zu solchen Scherzen neigte. Mit diesem Bild müssen wir noch arbeiten.

Gab es beim Beweis der Echtheit der ausgestellten Bilder auch Schwierigkeiten?

Ja, vor allem bei Camille Corot, auf dessen Gemälde die Fälscher aller Länder geradezu fliegen. Außer den beiden hier gezeigten Bildern von ihm haben wir einen dritten, sehr verführerisch gemalten, Corot – eine Stadt an einem See. Als ich mir das Bild vorknöpfte, glaubte ich plötzlich, es schon mal gesehen zu haben. Tatsächlich befindet sich das gleiche Gemälde in einer amerikanischen Privatsammlung, von der ich früher Fotos zu Gesicht bekommen hatte. Ich besorgte mir ein erstklassiges Faksimilie davon, und das genügte, um unser Exemplar als sehr gute und alte Kopie zu entlarven. Es gibt ja Künstler, die nahezu ein und dasselbe Bild mehrmals gemalt haben. Aber doch nicht Corot!

Und woher wissen Sie, daß es sich mit den beiden Corots in diesem Saal nicht genauso verhält?

Ich habe mich ziemlich lange damit beschäftigt. Zunächst zeigte ich Fotografien davon einigen, auch ausländischen Spezialisten. Dann haben wir die kleinsten Besonderheiten der Malweise untersucht und sind zu dem gleichen Schluß gekommen. Zumindest in einem Punkt sind wir uns hundertprozentig sicher: Fälschungen sind diese Bilder nicht. Falls es keine Corots sein sollten, müssten es Bilder eines Malers sein, der haargenau in der gleichen Manier arbeitete, wie Corot. Dann ist da aber noch die Signatur, der die Graphologen Echtheit attestieren.

Bei einem berühmten Bild wie „Place de la Concorde“ von Edgar Degas hat es solche Probleme wahrscheinlich nicht gegeben?

Keine Probleme bei der Zuordnung, aber trotzdem: Rätsel über Rätsel! Sie fangen gleich nach seiner Entstehung an. Warum hat Degas eines seiner besten Werke niemals öffentlich gezeigt? Niemand weiß, was damit zwischen 1875 und 1911 passierte, als es in der Sammlung Gerstenberg landete. Vielleicht kommen diese Dinge langsam ans Tageslicht, wenn das Gemälde jetzt aller Welt vor Augen steht. Sogar nachdem Degas das Bild verkauft hatte – er mußte damals seinem Bruder aus einer finanziellen Klemme helfen – stellte es der Käufer, der Händler Durand-Ruel, nicht aus. Offenbar hatte ihm der Künstler davon abgeraten, und alle wußten, daß Degas nichts zu vergessen pflegte. Auf dem Bild ist Degas' Freund, Vicomte Ludovic-Napoléon Lepic mit seinen beiden Töchtern und einem Hund porträtiert. Dann ist da aber noch ein Mann. Ich wollte ihn identifizieren. Das erste worauf ich stieß – und zwar ganz zufällig auf den Spuren Corots in Paris – war allerdings eine Fotografie des abgebildeten Hundes, einem russischen Barsoi. Vicomte Lepic war nämlich Hundezüchter. Bei dem Unbekannten kam ich zu dem Schluß, es müsse sich um Ludovico Alevi handeln, ein zu seiner Zeit überaus prominenter Romancier und Operettenlibrettist. Es war mir ein wenig bange davor, das auch auszusprechen. Erst im letzten Dezember, als der Katalog in New York schon im Druck war, vertraute ich mich dem größten Degas-Spezialisten der Welt an, der an der Columbia-Universität lehrt. Und der sagte: „Na klar, das muß einfach Alevi sein!“ So leicht kam das aus ihm heraus, das hat mir richtig gutgetan! Interview: Barbara Kerneck