Besser als die Verletzung des Tötungsverbots

■ Verändert die Hirntod-Definition unsere Todesvorstellung? Interview mit Bettina Schöne-Seifert, Medizinerin, Philosophin, derzeit Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg

taz: Wie bewerten Sie den vorliegenden Gesetzentwurf?

Bettina Schöne-Seifert: Ich finde die rechtliche Festschreibung einer „erweiterten Zustimmungsregelung“ begrüßenswert. Eine „erweiterte Widerspruchslösung“ oder eine „Informationslösung“ – bei der das Schweigen des Verstorbenen zu Lebzeiten und zusätzlich das Schweigen seiner Angehörigen als hinreichende Zustimmung gewertet werden – scheint mir zwar im Prinzip moralisch ebenso akzeptabel zu sein; dann nämlich, wenn wirklich alle Betroffenen diese Vereinbarungen genau verstünden. Aber in der Realität besteht hier die Gefahr von Mißverständnissen und Überrumpelung. Die Entscheidung für eine Zustimmungslösung ist richtig mit Blick auf das augenblickliche soziale Klima, das leider nicht vom Vertrauen in Ärzte und von einer Kultur der Selbstbestimmung von Patienten bestimmt ist.

Mir leuchtet nicht ein, weshalb Angehörige über die Organentnahme entscheiden dürfen sollen.

Das ist eine häufig vorgebrachte Kritik. Ich teile sie aus zwei Gründen nicht. Erstens verpflichtet der vorliegende Gesetzentwurf verschiedene Einrichtungen zu einer breiten Aufklärung der Bürger über Fragen der Organspende. Wer auch in Zukunft keine Erklärung zur eigenen Organspende abgibt, wird wissen, daß er damit die Entscheidung seinen Hinterbliebenen überläßt – wogegen ja auch gar nichts einzuwenden ist. Wer hingegen seine Organe nicht spenden möchte, kann dies leicht und sicher zum Ausdruck bringen. Zweitens sind gerade beim Tod eines Menschen, der als Organspender in Frage kommt, weil er relativ jung starb und bisher gesund war, die Angehörigen oft besonders schwer betroffen. Daher finde ich es richtig, bei fehlender Erklärung des Verstorbenen auch deren Empfindungen und Einstellung in Rechnung zu stellen.

Wäre nicht eine Lösung besser, die jede Person dazu verpflichtet, sich bereits zu Lebzeiten selbst zu entscheiden?

Ja, eine solche Erklärungspflicht wäre moralisch eine ernsthafte Alternative zur regelmäßigen Einbeziehung der Angehörigen. Nur scheint sie sich aus rechtstechnischen und, nach Meinung mancher, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen schwer durchsetzen zu lassen. Im günstigsten Fall könnte sich die Bevölkerung aber – motiviert durch die im Entwurf vorgesehene Öffentlichkeitsarbeit – sozial verpflichtet fühlen, eine Entscheidung über die eigene Organentnahme zu treffen.

Welche Möglichkeiten der Erklärung sieht der Gesetzentwurf denn vor?

Entweder mit Hilfe eines Organspende-Ausweises. Dabei hätte man drei verschiedene Optionen: Entweder kann man einer Spende zustimmen, auch beschränkt auf einzelne Organe; oder man kann ihr widersprechen; oder man kann diese Entscheidung ausdrücklich einer benannten anderen Person überlassen. Alternativ zum Organspende-Ausweis gäbe es die besonders sichere Möglichkeit einer entsprechenden Erklärung in einem Zentralregister. Ein solches bundesweites Organspende-Register soll ja neu eingerichtet werden, wobei die Erklärungen nur von den Ärzten abgerufen werden könnten, die den Tod des jeweils Betroffenen feststellen. Und schließlich könnte man seine Erklärung auch formlos machen – und im übrigen jede gemachte Erklärung jederzeit gültig widerrufen, sei es auch nur mündlich. Das sollte alles so sicher und so einfach wie möglich gemacht werden.

Mir ist nicht plausibel, warum das Erlöschen der Hirntätigkeiten den Tod bedeuten soll.

Die Ängste gegenüber der Hirntod-Definition sind wohl ein Hauptgrund für den deutlichen Rückgang der Organspendewilligkeit in den letzten Jahren. Hirntod ist ein Zustand, in dem alle Hirntätigkeiten des Betroffenen dauerhaft erloschen sind und er dabei allein mit Hilfe von Intensivmedizin noch beatmet wird. Wir kommen nicht umhin, diesen ganz neuen Zustand zu qualifizieren: Entweder begreifen wir ihn als eine Weise des Lebens, die es so bisher nicht gab. Oder als eine neue Art des Totseins. In keinem Fall gibt es darüber eine objektive Wahrheit. Dafür, diesen Zustand dem Tod zuzurechnen, spricht, daß ein Betroffener hier nicht mehr den geringsten Rest von Empfinden und Bewußtsein haben kann. Würde man diesen Zustand dem Leben zurechnen, was ebenso denkbar wäre, dann müßte man entweder auf Organentnahmen bei Hirntoten verzichten, was ich moralisch als ein viel zu großes Opfer ansehe. Oder man müßte solche Entnahmen als eine besondere Art der Tötung auf Verlangen qualifizieren. Die moralischen Gefahren, die mit einer solchen Durchbrechung des Tötungsverbotes einhergehen, scheinen mir aber deutlich größer als die Gefahren bei der Anerkennung des Hirntods.

Angesichts dieser Probleme geht der Entwurf sehr lapidar mit dem Hirntod um. Er wird dort einfach als Todeszeitpunkt festgelegt.

Ja, in der Tat. Der Gesetzentwurf spielt das Ganze zu einem medizinischen Faktum herunter. Es wird nicht gesagt, daß es um Begriffe geht, die im ganzen Gefüge verschiedener Vorstellungen und Werte gesetzt werden müssen.

Was sagen Sie jenen, die sich mit diesem Todeskriterium nicht abfinden wollen?

Sie haben mit diesem Gesetzentwurf die Möglichkeit, sich sicher und einfach gegen eine Organentnahme auszusprechen. Hinsichtlich der ideologischen Fragen ist also ein „Minderheitenschutz“ vorgesehen. Die Sorge mancher, daß ein Transplantationsgesetz auf subtile Weise einen Entscheidungszwang zugunsten einer Organspende bewirkt, scheint mir entkräftet.

Wie gut sind die Meßmethoden für die Feststellung des Hirntodes?

Ich glaube, sie sind unterdessen absolut zuverlässig. Übrigens wird das auch von Hirntodgegnern zugestanden. Interview: Julia Albrecht