Radler auf der Überholspur

■ Größte Fahrrad-Demo Deutschlands anläßlich des Klimagipfels / Festival auf der Autobahn

Berlin (taz) – Es war die größte Fahrrad-Demonstration, die je in Deutschland stattgefunden hat. 70.000 Radfahrer waren nach Angaben der Veranstalter gestern in Berlin unterwegs, um für eine umweltfreundliche Verkehrspolitik zu demonstrieren. 35.000 begeisterte Radler waren allein auf der Autobahn unterwegs, die den gesamten Nachmittag für die Demo gesperrt blieb. Rund sieben Kilometer lang war die Schlange, die vom Internationalen Congress Centrum (ICC) bis in die Nähe des Wannsees reichte. Mit Trillerpfeifen und ihren Klingeln machten die Radler ihrem Unmut über die schleppenden und bislang erfolglosen Verhandlungen zum Klimaschutz am Ort des Gipfels Luft, doch nur wenige Regierungsvertreter mochten über den Balkon schauen. Am Nachmittag trafen die zehn Radlerdemos zu einer Kundgebung in der Innenstadt zusammen.

Die Stimmung war trotz mittelmäßigen Wetters blendend. „Das ist der Wahnsinn!“ Ein 74jähriger aus dem Berliner Umland konnte es nicht fassen, daß er wirklich auf der Autobahn fahren durfte. Als kleiner Junge habe er hier Autorennen zugesehen, erzählte er den jüngeren Radlern um sich herum. Und später habe er als DDR-Bürger nicht einmal in die Nähe der legendären Strecke gedurft: Sie war die Transit-Einfahrt aus Hannover und Nürnberg.

Viele waren vor allem gekommen, um einmal über die Autobahn durch den Grunewald zu fahren, die erste Formel-1- Strecke in Deutschland. Der konkrete Anlaß schien für die meisten zweitrangig zu sein. Nur widerwillig ließen sie sich zur Auto-Beerdigung bremsen, die das Klimaforum organisiert hatte: Nach dem Prinzip des Hammelsprungs wurde ein mit Trauerflor geschmückter Mercedes durch das „Nein“-Tor der Klimakiller geschoben, während die Radfahrer einzeln bei „Ja“ passieren durften. „Es mußte ein Mercedes sein“, so Organisator Tillmann Römer zur taz. „Hier auf der Avus feierte der Silberpfeil seine Triumphe, das sind noch heute Symbole für den Autowahn.“

An zehn Punkten rund um Berlin waren die Umweltschützer gestartet, um bis zum Zentrum zu fahren. Die Landesregierung hatte die Bevölkerung bereits vor Wochen aufgerufen, sich am freiwilligen autofreien Sonntag zu beteiligen und die Wagen stehenzulassen. Am Brandenburger Tor trafen sich die Gruppen zu ihrer Kundgebung mit Party. Christian Arns Siehe Seite 7