■ Abgehört
: Die Mall ist toll

„Lost in the Supermarket. Oder: die letzten Tage Europas“, 23 Uhr, Eins live (WDR)

„Von der utopischen Kraft der Frischhaltung“, hatte Walter Filz ein Feature über die Welt der Tupperware-Plastikdosen untertitelt. Sein neues Stück handelt von der apokalyptischen Kraft der amerikanischen Mall.

Natürlich ist die geschlossene Welt des Großeinkaufszentrums „Mall of America“ in Minnesota per se nicht apokalyptisch, obwohl da zwanzig Peterdome oder fünf Rote Plätze reinpassen würden. Weder Kirche noch Kommunismus waren in der Lage, so etwas zu bauen, und so eignet sich dieser Inbegriff des kulturvernichtenden Konsumterrors hervorragend für apokalyptische, antiamerikanische Projektionen; besonders in Zusammenhang mit der allgegenwärtigen Gewalt auf amerikanischen Straßen.

In Gesellschaft von Schweizer Marketingleuten und einem windigen „Mediendramaturgen“ sieht sich Filz die Mall an und stellt fest: die Mall ist toll. Es gibt Läden, in denen man heiraten und andere, in denen man Skelette kaufen kann; die Fremdenführerin weiß nicht, wie viele Läden letztes Jahr aufgegeben haben, und ob die Mall überhaupt schwarze Zahlen schreibt, ist zweifelhaft – der ganze Laden scheint ebenso irreal zu sein wie die Familiengeschichte, die sich ein italienisches Restaurant mit gefälschten Fotos zu geben versucht.

Geschichten erzählen statt Geschichte machen. Die Mall ist bestenfalls ein ästhetisches, aber kein politisches Problem. „America has Hollywood, we have Grosny“ zitiert Filz eine CNN-Reporterin und zieht damit die Demarkationslinie zwischen zwei Realitäten.

Filz bettet seine Erkenntnisse in eine Beschreibung der Befindlichkeit der USA anhand der Romane über die Generation X ein und destruiert damit spöttisch und ganz unpolemisch die europäisch-zivilisationskritischen Vorurteile. O-Töne, Sounds (zum Beispiel aus „Natural Born Killer“) und Musik von Walt Disney bis Nirvana sind witzig und virtuos zugleich montiert. Das Feature kommt als Kunstwerk daher – ohne volkspädagogischen Impetus und ohne Angst vor dem (akustischen) Kalauer.Jochen Meißner