Ein paar tausend Kilometer Zeichnungen

■ Ärger über korrekt denkende Metallgewerkschaftler und unwissende, witzelose Feuilletonisten: Chlodwig Poth wird 65

Mit 16 Jahren veröffentlichte er seine ersten Karikaturen in der Zeitung des FDJ-Zentralrats, „Neues Leben“. Das war 1946. Schon vorher hatte er Bilderbögen gezeichnet, die er während der Bombenangriffe auf Berlin im Luftschutzkeller herumreichte. Während der Berlin-Blockade arbeitete er für die Satirezeitschrift „Der Insulaner“ und unter dem Tarnnamen P 47 für „Die Tarantel“, ein Propagandawitzblatt, das vermutlich von der CIA finanziert wurde. 1961 gehörte er zu den Begründern von „Pardon“, für die er in den siebziger Jahren seine wohl berühmteste Serie „Mein progressiver Alltag“ zeichnete. Er schrieb zwei Romane und strichelte etliche Cartoon-Bände, darunter den ersten Bildergeschichtenroman überhaupt („50 Jahre Überfluß“). 1979 gründete er zusammen mit anderen Mitgliedern der Neuen Frankfurter Schule das endgültige Satiremagazin „Titanic“, für das er die Kolumne „Last Exit Sossenheim“ zeichnet. Heute wird Chlodwig Poth 65 Jahre alt.

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taz: Wie verändert man sich im Laufe eines Satirikerlebens? Im Tagesspiegel hat vor ein paar Jahren über dich gestanden: „Männer im Alter werden vor allem eines: milde und nachsichtig.“ Werde ich das eines Tages auch?

Chlodwig Poth: Das ist Quatsch. Heute ärgere ich mich über mehr Dinge, die mich früher nicht wirklich berührt haben. Ich bin böser geworden, weil man mit der Zeit dünnhäutiger wird. Zum Beispiel der Paragraph 218. Früher habe ich das eher lustig gesehen, jetzt ärgert mich das furchtbar, daß einen so ein Scheiß das ganze Leben lang verfolgt und immer wieder derselbe Quatsch geredet wird.

Du hast in deinem Leben mehr als 50.000 Zeichnungen gemacht, bist einer der bedeutendsten Karikaturisten Deutschlands. Meinst du, daß das gewürdigt worden ist?

Karikaturen gelten hier in Deutschland nach wie vor als bloße Unterhaltungskunst. Man wird nie wirklich ernst mit einem Buch im Feuilleton besprochen, sondern bestenfalls auf der Bunten Seite. Meistens wird eine Zeichnung aus deinem Buch mit einem kleinen Text darunter abgedruckt. Als Karikaturist steht man ungefähr auf der gleichen Stufe wie Didi Hallervorden. Früher war klar, daß Leute über 40 mit Comic strips nichts anfangen konnten. Aber heute sind mittlerweile alle damit aufgewachsen. Es müßten doch jetzt genug Feuilletonredakteure da sein, die auch wissen könnten, daß das in Frankreich oder in England ganz anders ist. Klar, es hat einzelne Ausnahmen gegeben. Patrick Bahners hat in der FAZ eine sehr verständige und vernünftige Besprechung zu „50 Jahre Überfluß“ geschrieben. Der hat ganz richtig betont: Es hat im 20. Jahrhundert zwei neue Erzählformen gegeben, den Film und den Comic strip. Sonst kommt bestenfalls die „spitze Feder“. Es ist schrecklich, Besprechungen von Leuten zu lesen, die überhaupt keine Ahnung haben und das dazu noch von oben herab machen. Für die sind das eben irgendwelche Witzchen. Und das in einem Land, in dem in jedem Bücherschrank Wilhelm Busch steht als der große Klassiker.

Aber finanziell werden sich doch rund 50 Jahre Zeichnerei wohl ausgezahlt haben? Der „progressive Alltag“ erschien immerhin in einer Auflage von über 250.000 Exemplaren.

Das ist schon etwas her. Heute sieht es anders aus. Gerade bin ich zum Beispiel von der IG Metall ausgebootet worden, genauso wie Hans Traxler. 17 Jahre haben wir zusammen die Rückseite der Mitgliederzeitung Metall gemacht. Anfang 1995 haben sie auf Lifestyle-Blatt umgestellt, weil ihnen die Mitglieder weglaufen. Die Gewerkschaft hat das an eine Wiesbadener Agentur übergeben. Das Gemeine daran war, daß sie nicht einfach gesagt haben: Es ist aus, Schluß, sondern sie sagten, ich sollte doch mal was anderes machen, direkt vor Ort bei Opel im Autowerk zeichnen und da mal sehen. Da hätte ich vom Instinkt her schon sagen müssen: Laß es, das wird doch nichts! Aber ich habe gedacht: Das ist eigentlich ganz interessant. Ich habe dann da eine Führung gemacht und fotografiert. Anschließend habe ich drei Zeichnungen gemacht, die ich recht gut fand. An einer von den dreien haben sie es dann aufgehängt: Da siehst du ein paar Arbeiter am Band, und einer hat eine Gedankenblase. Der denkt: „Gruppenarbeit? Gruppensex wäre mir lieber!“ Mir wurde gesagt, das wäre unglaublich sexistisch und frauenverachtend. Das habe ich ihnen am übelsten genommen, daß sie mich da noch einmal reingehetzt haben. Ich hatte keine Chance. Nach 17 Jahren haben sie mich kommentarlos rausgeschmissen. Nicht ein Brief. In jedem anderen Betrieb wird jemand, der so lange dabei war, doch mit einer kleinen Geste, einer Flasche Wein oder irgendeinem Scheiß verabschiedet. Bei denen aber: rein gar nichts! Bei der FAZ bin ich genauso rausgeflogen. Da habe ich vor ein paar Jahren wöchentlich eine Cartoonreihe gemacht. Da kam ein neuer Herausgeber, und zack! war ich weg. Meine Zeichnungen seien nichts für FAZ-Leser, hat der gesagt. Geblieben sind mir nur noch meine Seiten in Titanic. Insgesamt verdiene ich heute knappe 2.000 Mark. Rente kriege ich ja nicht. Und die Wohnung kostet allein 1.500 Mark.

Und was würde passieren, wenn die Titanic pleite ginge?

Ich habe 120.000 Mark Lebensversicherung auf der Bank. Und meine Frau Anna bekommt Rente. Außerdem werden sich die Zeiten ja mal wieder ändern. Ob ich dann allerdings noch lebe und davon noch etwas habe? Und inzwischen bin ich für die Leute ein uralter Mensch. Vielleicht war das ein Fehler, mit dem „progressiven Alltag“ aufzuhören. Den hätte ich endlos weiter machen können. Aber das ist doch unglaublich langweilig, wenn du dich hinsetzt und schon vorher weißt, wie die Zeichnung aussieht. Wer so arbeitet, kann keinen Spaß am Zeichnen haben. Da kannst du doch gleich technischer Zeichner werden.

Ich hatte eigentlich vermutet, daß du dich vor Angeboten kaum retten kannst. Woran liegt es, daß das nicht so ist?

Zunächst einmal haben die Zeitungen einfach nicht mehr einen so großen Bedarf an Zeichnungen. Früher hatte jedes Blatt seine Witz- oder Karikaturenseite. Und dann gibt es einen Trend zum Nonsense. Das machen die meisten jungen Zeichner. Es gibt nur noch ganz wenige, die zeitbezogen arbeiten, natürlich außer den tagespolitischen Karikaturisten.

Du hast so viele Bücher illustriert und selbst gemacht, daß man sie kaum überblicken kann. Welches von deinen Büchern ist dir denn selbst am liebsten?

Eigentlich immer das letzte, im Moment also „Sossenheim“.

Benannt nach dem Frankfurter Stadtteil, in dem du wohnst. Sind die Leute dort stolz, daß du sie und ihren Ort berühmt gemacht hast?

Nein, das sind sie wohl nicht. Die alteingesessenen Sossenheimer, die betrachten das als Nestbeschmutzung. Für die stehen im Buch zu unanständige Sachen. Da kommt das Wort Ficken vor und so was, das mögen die nicht so sehr. Hier leben ja zwei Welten nebeneinander her. Das sind die Alteingesessenen aus dem uralten Dorf Sossenheim und diese vier Sozialwohnungsblocks mit einem sehr hohen Ausländeranteil. Das vermischt sich überhaupt nicht. Die alten Sossenheimer wissen zwar, daß es diese Wohnblocks gibt, aber sie mögen nicht, daß das überall bekannt wird. Da gibt es furchtbar dicke Frauen und ganz dünne Männer mit tätowierten Armen. Und alle in Jogginganzügen oder in Leggings. Das ist schon schwer zu ertragen, wenn man hier bei Penny einkauft. Aber für mich ist das natürlich ein gefundenes Fressen.

Zum Schluß eine Frage, die du sicher noch nie öffentlich beantwortet hast. Nach der neuen Gesetzeslage kann man darüber ja offener sprechen. Ich weiß, daß du – genau wie ich – ganz gerne kiffst: Rauchst du auch, wenn du zeichnest?

Ja, ich rauche jeden Abend meine zwei, drei Pfeifchen. Wenn ich etwas unter Alkoholeinfluß mache, dann weiß ich am anderen Tag, das war Scheiße. Aber bei Haschisch nicht. Wenn du einen guten Trip hast, dann macht Zeichnen plötzlich wahnsinnig Spaß. Du zeichnest viel bewußter, jeden Strich. Das ist nicht jedes Mal so, eher relativ selten. Aber manchmal wird eine Schraffur furchtbar aufregend. Plötzlich überlegt man: Wieviel tausend Kilometer habe ich schon gezeichnet, Strichelchen an Strichelchen? Interview: Christian Schmidt