: „Wir boykottieren deutsche Waren“
■ Türkische Meinungsmacher reagieren mit Verärgerung auf die heftige Kritik der Deutschen am Einmarsch in Nordirak
Während in Bonn der türkische Außenminister Erdal Inönü – ein alter Fuchs, der besonnen-diplomatisch den Einmarsch der Türkei in den Nordirak legitimiert – mit seinem Amtskollegen Klaus Kinkel sprach, hatten die türkischen Medien längst die Messer gewetzt. Oktay Gürler, Fotohändler im zentralanatolischen Kayseri, hatte sich für die Zeitung Hürriyet vor seinem Laden ablichten lassen: Neben der Kodak-, Polaroid- und Konica-Werbung auf der Schaufensterscheibe bricht es bitter- ernst hervor: „Wir boykottieren deutsche Waren. Deutsche Waren werden hier nicht mehr verkauft.“ Fotohändler Gürler aus Kayseri hat sich nach dem deutschen Waffenembargo den Boykotteuren angeschlossen. Auch einige lokale Ärztekammern rieten ihren Mitgliedern, keine deutschen Medikamente mehr zu verschreiben.
Schenkt man den Medien Glauben, so ist eine großangelegte Massenkampagne zum Boykott deutscher Waren im Gang. Mit Zorn und Boykottdrohungen reagiere man in der Türkei zur Zeit auf die „Untreue“ der Deutschen – und auf die Dummheiten in der veröffentlichten Meinung. „O ihr Schamlosen“, lautete gestern die Schlagzeile des Massenblattes Hürriyet. Immerhin nicht ohne Grund: Die deutsche Welt am Sonntag hatte am Vortag ein Foto von einer kurdischen Demonstration in Düsseldorf veröffentlicht. Auf diesem Bild werden Demonstranten gezeigt, die ein Transparent mit dem Konterfei des PKK- Chefs Abdullah Öcalan tragen – die Inkarnation des Bösen für jeden ehrenwerten Türken. Doch was behauptet die Welt am Sonntag in ihrer Bildunterschrift? Der Abgebildete sei der Gründer der modernen Türkei, Kemal Atatürk – ein Heiliger, den jeder ehrenhafte Türke anhimmelt. Verwechselt wurde der Republikgründer mit dem „Terroristenchef“. Und nicht nur das. Als Geburtsdatum Kemal Atatürks ist 1880 angegeben. Dabei wurde Atatürk – das weiß in der Türkei jedes Kind – im Jahr 1881 geboren.
Eine derartige Verwechslung könnte man geflissentlich übergehen – wenn nicht solche „Ungeheuerlichkeiten“ auch in der deutschen Berichterstattung über den Einmarsch der Türkei in der Nordirak vorkämen. In der vergangenen Woche überfielen PKK-Guerilleros das Dorf Görümlü im Südosten der Türkei. In dem Dorf befanden sich kurdische Dorfmilizionäre, die in Zusammenarbeit mit der türkischen Armee die PKK bekämpfen. Drei Kinder im Alter zwischen drei und neun Jahren wurden getötet. Obwohl das Massaker auf das Konto der PKK ging, kommentierten NTV und Euronews die Bilder aus dem Dorf als Massaker der türkischen Armee an Kurden im Irak. Dabei hatten die türkischen Behörden zwei Abgeordnete der britischen Labour Party, die zuerst den Nordirak bereist hatten, selbst an Ort und Stelle geführt.
„Dieses Massaker ist Herrn Kinkel gewidmet“, schreibt der Chefkolumnist der Zeitung Sabah, Hasan Cemal, der ebenfalls in das Dorf reiste. „Wird der deutsche Außenminister zu den ermordeten Kindern schweigen?“ Coskum Kirca, Kolumnist der Zeitung Yüzyil, bezeichnet den deutschen Außenminister als einen „Narren“, weil er glaube, daß die türkische Armee kurdische Zivilisten im Nordirak schlecht behandele.
Tatsächlich sind die Meinungsmacher verärgert, weil der türkische Einmarsch in den Norden Iraks von deutscher Seite am heftigsten kritisiert wird. Großbritannien und Frankreich schlagen bislang versöhnlichere Töne an, und die US-Regierung stellte sich gar hinter den Einmarsch, wenn auch unter der Bedingung, daß die Militäroperationen im Nordirak zeitlich begrenzt werden müßten.
Für viele Türkinnen und Türken ist es unfaßbar, daß Deutschland mit einem Waffenembargo reagierte. Doch die hysterische Deutschlandfeindlichkeit der Medien schwappt nicht auf die Bürger über. Denn von einer Kampagne zum Boykott deutscher Waren merkt man bis auf Ausnahmen wie den Fotohändler im Alltag so gut wie nichts.
Und die türkischen Politiker wissen, daß nichts so heiß gegessen wie gekocht wird. Kinkel akzeptiere die „berechtigten Interessen der Türkei“ bei dem Einmarsch in den Nordirak, sagte der stellvertretende türkische Ministerpräsident Hikmet Cetin. Der deutsche Protest hat nach Ansicht Cetins innenpolitische Gründe. Der Wahrheit am nächsten kommt vielleicht – ausnahmsweise – die türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller. „Eigentlich gibt es gar keine heftige Opposition von seiten der Deutschen. Sie geben sich nur den Anschein, als würden sie opponieren – schließlich stehen Wahlen an.“ Ömer Erzeren, Istanbul
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen