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: Mitten drin im Programm

„Kanal 4 Tapes“, Montag, 23.50 Uhr, Sat.1

Tote Kinder, Soldaten mit MP, golden angemalte Kinder mit Dornenkranz und eine Sängerin, ebenfalls ganz in Gold, vor einem Kreuz: „Klar“, werdet ihr sagen, „das ist doch Dolores O'Riordan von den Cranberries aus Irland, als sie da gerade über diesen blöden Bürgerkrieg in Nordirland singt“. Der ist doch irgendwie so sinnlos, aber zum Glück reimt sich violence auf silence, und Dolores singt „ohohoh Zombie“, und ich verstehe immer „sorry“.

„Und da sind wir schon mitten im Thema“, sagt plötzlich eine Frauenstimme, und das Gesicht hatten wir vorher schon mal als verschwommenen Kußmund im Vorspann gesehen. Wir sind also doch nicht bei Viva oder MTV gelandet, sondern bei einem dieser Bildungsprogramme, bei denen RTL und Sat.1 verschämt ihr Logo ausblenden, weil sie den Independents die volle Bildschirmbreitseite überlassen müssen.

Dieses Vorhaben haben wir bisher voll unterstützt und oftmals selbst die Quotenkurve gekratzt, jetzt aber gibt's „Kanal 4 Tapes“, eine halbstündige Musiksendung. Gibt der Kanal etwa plötzlich klein bei und zeigt Videoclips mit Hits von den Cranberries? Einfach so, ohne musiktheoretischen Background? Natürlich nicht! Denn „da sind wir auch schon mitten im Thema, mir geht es nicht um die Band, sondern vielmehr um die Sängerin“. Und dann geht es der ansonsten angenehm untrendigen, nicht penetrant jungfröhlichen Moderatorin Esha Chakravarty noch um eine andere Sängerin, auch Mitte Zwanzig, aus dem Europoplabor Schweden. Es geht um „unabhängige Songwriterinnen, die aus eigener Kraft die Energie finden, kreativ zu sein“. Tja. Dämmert's? Wenn schon U-Musik bei Kanal4, denn schon „kreative Frauen“. Immerhin sagt niemand „Frauen im Pop“. Und bevor hier schon wieder drauflosgemäkelt wird, hören wir auf Doleres' Worte: „Die Kritiker sind oft nur eifersüchtig auf meinen Erfolg, weil sie selbst keinen haben. Das deprimiert mich. Mein Mann sagt dann immer: Denk nicht drüber nach. Ich will über meine Gefühle schreiben, das bedeutet mir sehr viel.“

Tja. Wer „Frauenmusik“ sät, wird eben „Frauenprobleme“ ernten. Mit weniger Gefühlsduselei und Erklärungswillen, mehr Entdeckerdrang könnte „Kanal 4 Tapes“ durchaus die Quoten heben. Das nächste Mal soll es statt um Frauen um alte Rocksäcke wie Robert Plant gehen. Andreas Becker