Short Stories from America
: Pornographische Talente

■ Fesseln, kappen, straffen: Newt Gingrich als Literat und Finanzpolitiker

Newt Gingrichs Ruhm liegt ja angeblich in seinem fiskalischen Konservativismus. Hacken, schneiden und den Gürtel der Politik enger schnallen, hat er alles getan. Dabei liegt sein wahres Talent in der Pornografie.

Auf einer der hinteren Seiten der New York Times wurde es ruchbar: Newt, König der Rechten und Guten, hat ein ziemlich schlechtes Buch geschrieben. Der Thriller „1945“ aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs soll im August 1995 als gebundene Ausgabe zu 24 Dollar herauskommen und erzählt unfeine Einzelheiten über das Verhältnis zwischen einem Stabschef des Weißen Hauses und seiner rein arischen Mätresse – einer Mischung aus Eva Braun, Mata Hari und Elsa, der Königin aller Werwölfinnen.

Vor dieser Rezension fand ich das Netteste an Newt immer seine kleine lesbische Schwester, Candace Gingrich. Die 28 Jahre alte Computertechnikerin war kürzlich in Washington, um den Kongreß zu bearbeiten, zwischen all den Finanzaderlässen ihres Bruders wenigstens die AIDS-Programme weiterzuführen. Vertreter der Homosexuellenbewegung finden, das Beste an ihrem Besuch in Washington sei ihr politischer Einfluß. Das finde ich nicht. Während ihres Auftritts war Newt zwar an ihrer Seite und predigte Toleranz gegenüber Homosexuellen. Tags darauf allerdings verkündete er, Homosexuelle dürften keinen besonderen Schutz ihrer Arbeitsplätze genießen. Was immer es auch mit Candaces politischem Einfluß auf sich hat (sie behauptet ja, sie hätte mit ihrem Bruder nicht viel zu reden): er ist auf keinen Fall von Dauer. Deshalb fand ich das Beste an Candaces Besuch das Bild von den beiden in den Zeitungen: Sie ist die Helle und die Schwule.

Jedenfalls ist mir jetzt, nach der Rezension von „1945“, das Sympathischste an Newt nicht mehr seine lesbische Verwandtschaft, sondern sein pornographisches Talent. In „1945“ „keucht“, „zischt“, „gurrt“ die Megäre mit ihrem „tödlichen Schmollmund“ und setzt sich „rittlings auf seine Brust“, während der Stabschef ihr Staatsgeheimnisse ins Ohr sprudelt, woraufhin sie ihm verspricht, „schreckliche Dinge“ mit ihm anzustellen. Zunächst mal fesselt sie ihn. „Warte nur“, freut sich Elsa auf zukünftige Sexspiele, „bis er den Unterschied zwischen gespielter und richtiger Unterwerfung entdeckt. Das wird einen Mann aus ihm machen. Sie wand sich in Erwartung.“

Jetzt endlich glaube ich, Newt verstanden zu haben. Budgetausgleich oder Defizitsenkung fesseln ihn einfach nicht. Sondern das Budget nicht ausgleichen, sondern straffen; die Regierung nicht schwächen, sondern ihr die Hände binden; mit den Demokraten nicht verhandeln, sondern sie an seine Ansprüche fesseln. Das wird die Amerikaner zu Männern machen.

Deshalb also hat Newt alles kappen lassen, von der Finanzierung für Behindertenprogramme über die Familienhilfe bis hin zu den Anti-Drogen-Programmen an den Schulen! Manche Leute glauben ja, aus Kindern würden allein durch Essen und Erziehung Männer werden. Irrtum: die Disziplin macht's. Nicht umsonst heißt es schließlich: Der Mensch lebt nicht von Brot allein. In Newts Vision nun lebt der Mensch allerdings überhaupt nicht von Brot. Was nur eine kleine Akzentverschiebung im Interesse unserer leerlaufenden Wirtschaft ist, die wieder ein Ziel bekommen muß.

Newt beschneidet all diese Programme genau zu dem Zeitpunkt, als ein Kongreßbericht einem Drittel der 80.000 amerikanischen Schulen einen absolut katastrophalen Zustand bescheinigte. Die notwendigen Reparaturen würden 12 Milliarden Dollar verschlingen – ungefähr das Dreifache des Bildungsetats, dem Newt und einige seiner Senatskollegen, darunter Bob Dole, eigentlich gleich ganz den Garaus machen wollen. Der Gouverneur des Staates New York, George Pataki, klemmt den New Yorker Schulen beispielsweise die staatliche Hilfe für Sommer- und Schulfolgeprogramme ab und verlangt Beschränkungen der Schülerberatung und Klassen für Körperbehinderte und Verhaltensgestörte. Irgendwie müssen diese Kinder ja in Form gebracht werden.

Disziplin ist auch der Grund, warum Newt der Lebensmittelunterstützung zu Leibe gerückt ist und sie auf neunzig Tage beschränkt hat, ganz egal, ob der Empfänger nun Arbeit gefunden hat oder nicht. Außerdem strich er das Budget für dieses Programm so zusammen, daß in noch schwierigeren Zeiten keine zusätzlichen Berechtigungsscheine ausgegeben werden könnten. Um der Disziplin willen hat Newt die Regierungsbehörden auch daran gehindert, Ausführungsbestimmungen für bestehende Gesetze zu erlassen – insbesondere die Umweltschutzbehörde und die Behörde für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. So zur Untätigkeit verurteilt, macht er es diesen Behörden unmöglich, Arbeitsschutz- oder Umweltnormen zu erlassen. Bis die Republikaner dann endlich neue Gesetze verabschieden können, die ein bißchen ... disziplinierter sind.

Und aus Gründen der Disziplin hat Newt schließlich dem amerikanischen Rechtssystem Fesseln angelegt, indem er es den Verbrauchern erschwerte, Konzerne zu verklagen. Er beschränkte die Entschädigungssummen, und künftig werden dem Verlierer von Umwelt- und persönlichen Schadensersatzprozessen auch noch die Prozeßkosten des Siegers aufgebrummt. Das ist das Ende einer Rechtstradition, wonach auch Menschen mit wenig Geld Anwälte auf Erfolgshonorarbasis beschäftigen konnten. Aber das war freilich übertrieben nachsichtig und furchtbar verschwenderisch und verführte undisziplinierter Bürger zu allzu leichtfertigen Prozessen. Newts neue Gesetze werden die Amerikaner wieder zur Raison bringen.

Ich habe nur eine Frage: durch diese Gesetze sank der Spitzensatz für Kapitalgewinnsteuern von 28 auf 19,8 Prozent; außerdem wurde die Mindeststeuer für Unternehmen abgeschafft – die sicherstellen sollte, daß alle, die Gewinne erzielen, wenigstens ein bißchen Steuern zahlen –, und viele Ausnahmeregelungen wurden eingeführt. Meint Newt etwa, diese Knaben könnten nicht auch ein bißchen mehr Disziplin vertragen? Aber dafür brauchen ihn die Konzernmanager vielleicht gar nicht. Die lassen sich Disziplin nämlich von ihren ganz privaten Elsas einbläuen. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen

von Meinhard Büning