Polens sozialliberales Tandem vor dem Start

■ Mit Leszek Balcerowicz und Jacek Kuron will die Freiheitsunion Walesa schlagen

Warschau (taz) – Ironie der Geschichte. Im Herbst 1989 war es Tadeusz Mazowiecki, der Leszek Balcerowicz zur Macht verhalf. Als erster nachkommunistischer Premier berief er den profilierten Wirtschaftswissenschaftler auf den Posten des Finanzministers und gab ihm dadurch die Möglichkeit, das Gesicht Polens nachhaltig zu verändern. Mazowiecki damals: „Sie werden mein Ludwig Erhard sein.“ Kritiker meinten später nicht ganz zu Unrecht, Balcerowicz habe die Reform in den 800 Tagen seiner Amtszeit allzusehr makroökonomisch und monetaristisch ausgerichtet und den sozialen Belangen zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt. Am vergangenen Wochenende war es Balcerowicz, der Mazowiecki von der Macht verdrängte. Zumindest als Vorsitzender der „Union der Freiheit“. Die hohe Stimmenzahl für Balcerowicz zeigt, wie sehr die Union nach Veränderungen und neuen Leuten sucht: Erst zwei Monate zuvor war Balcerowicz der Partei beigetreten. Vielen Mitgliedern ist klargeworden, daß ihre Organisation noch allzusehr vom Stil ihres bisherigen Vorsitzenden geprägt ist. Dem im Kampf gegen die Kommunisten ergrauten Intellektuellen Mazowiecki sind die konkrete politische Auseinandersetzung und auch die praktische Parteiarbeit vor Ort ein Greuel. So war die Union kaum in der Lage, die vielen Fehler der vor kurzem abgewählten Regierung unter Waldemar Pawlak auszunutzen. Balcerowicz hat sich vorgenommen, die Partei schlagkräftiger zu machen. Die Frage ist aber, ob dies ohne eine Neudefinition der Inhalte zu erreichen ist. Auf dem Parteikongreß am vergangenen Wochenende wurde über Inhalte kaum geredet. Doch es gibt in der Union Konservative, Liberale und Sozialdemokraten, die sich in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik stark unterscheiden.

Zu den kontrovers diskutierten Problemen gehört auch eine Frage, der die Union – strategisch gesehen – nicht ausweichen kann, will sie an die Macht zurückkehren. Die Frage nämlich, ob eine Koalition mit den Postkommunisten vom „Bündnis der demokratischen Linken“ oder zumindest einem Flügel dieses Bündnisses möglich ist. Dem nun gekürten Präsidentschaftskandidaten der Union, Jacek Kuron, und auch Balcerowicz wird nachgesagt, daß sie sich mittelfristig ein derartiges Zusammengehen vorstellen können. An diesem Punkt vereint sie ihr politischer Pragmatismus und ihr Wille zur Macht. Andere wie Mazowiecki oder Ex-Regierungschefin Hanna Suchocka weisen solche Überlegungen dagegen strikt zurück. Sie träumen eher von einem Bündnis aller wichtigen, aus der Gewerkschaft Solidarność hervorgegangenen Kräfte. Unklar ist allerdings, ob das Tandem Balcerowicz–Kuron wirklich reibungslos fahren wird. Immerhin ist Kuron, auch wenn er die Marktwirtschaft grundsätzlich bejaht, eher jemand, der soziale Fragen in den Vordergrund stellt. Und das ist ja auch ein wesentlicher Faktor, auf den seine Popularität zurückgeht.

Auf jeden Fall ist den bislang wichtigsten Kandidaten bei den für Dezember angesagten Präsidentschaftswahlen, also dem Amtsinhaber Lech Walesa und dem Chef des Linksbündnisses, Aleksander Kwasniewski, mit der Wahl Kurons eine scharfe Konkurrenz erwachsen. Gerade in der Auseinandersetzung mit Walesa wird Kuron im Wahlkampf hervorheben, als Präsident moderierend und verbindend wirken zu wollen. In der Tat haben die meisten Polen das ständige Anzetteln von Konflikten durch Walesa reichlich satt. In der Auseinandersetzung mit Kwasniewski wiederum wird Kurons sozialdemokratische Orientierung eine wesentliche Rolle spielen. Einzelne Zeitungskommentatoren vermuten sogar, und das nicht ganz zu Unrecht, Kurons Wahlkampf könne wie ein Katalysator für eine stärkere Zusammenführung aller sozialdemokratischen Kräfte wirken. Reinhold Vetter