Regierungslose Ukraine

■ Parlament wählt Kabinett ab / Präsident fordert umfassende Reformen

Kiew (AFP/rtr) – Die Abgeordneten im ukrainischen Parlament haben gestern nachmittag der Regierung des Landes ihr Mißtrauen ausgesprochen und mit großer Mehrheit für die Entlassung des Kabinetts gestimmt. Zuvor hatte das Parlament den Rücktritt von Ministerpräsident Witali Massol angenommen. Die Abgeordneten werfen der derzeitigen Regierung vor, bei der Stabilisierung der Wirtschaft des Landes versagt zu haben. Die Minister bleiben bis zur Bildung eines neuen Kabinetts im Amt. Damit wird dem Präsidenten Leonid Kutschma mehr Zeit für die Bildung einer neuen Regierung eingeräumt. Es wird erwartet, daß das neue Kabinett die wirtschaftliche Reformpolitik Kutschmas stärker unterstützt.

Kurz nach der gestrigen Abstimmmung plädierte der Präsident in einer Rede an die Nation erneut für die konsequente Modernisierung der ehemaligen Sowjetrepublik. Zugleich versprach er, die schlimmsten sozialen Folgen seiner Wirtschaftspolitik auszugleichen. Nach Kutschmas Ansicht zeigen die eingeleiteten Wirtschaftsreformen bereits erste Ergebnisse. Die Produktion sei im letzten Quartal des vergangenen Jahres erstmals seit vier Jahren wieder gestiegen.

Ganz anders beurteilte der parteilose Abgeordnete Oleg Djomin die Ergebnisse der Reformen. Die Regierung habe nichts getan, „um die Bevölkerung vor den Preiserhöhungen zu schützen“. Weiterhin sei die staatliche Industrie nicht unterstützt worden, die Verbreitung ausländischer Devisen habe man nicht gestoppt. „Die Situation der Bevölkerung ist katastrophal.“

Für den Rücktritt des Kabinetts stimmten 292 Abgeordnete bei jeweils 15 Gegenstimmen und Enthaltungen. Dem Rücktritt Massols stimmten 224 Abgeordnete zu, 62 waren dagegen. Massol hatte bereits am 1. März seinen Rücktritt eingereicht und war seither offiziell beurlaubt. Zum Übergangspräsidenten hatte Kutschma den ersten Vizeministerpräsidenten Jewgeni Martschuk ernannt, der von 1991 bis 1994 Chef der ukrainischen Sicherheitskräfte war.