Kohl feiert mit Jelzin am 9. Mai

■ Nach langem Zögern erfüllt der Kanzler den russischen Wunsch und reist zur Feier in Moskau

Berlin/Bonn (taz/dpa/AP) – Bundeskanzler Helmut Kohl hat sich zu einer Entscheidung durchgerungen: Am 9. Mai wird er auf Wunsch des russischen Präsidenten in Moskau das Ende des Zweiten Weltkriegs mitfeiern. Kohl, für den inzwischen, politisch korrekt, der Tag der Kapitulation ein Tag der Befreiung ist, will heute in Bonn sein Besuchsprogramm offiziell bekanntgeben.

Schon gestern streuten beflissene Regierungsvertreter, daß der Kanzler, der vor zehn Jahren auf dem Bitburger Soldatenfriedhof Ronald Reagan zum Handschlag über Waffen-SS-Gräbern genötigt hatte, nicht gewillt sei, irgendwelchen imperialen Truppenaufmärschen am 9. Mai an der Moskwa zuzuschauen. Am 50. Jahrestag des Sieges im „Großen Vaterländischen Krieg“ will Rußlands Präsident Boris Jelzin nicht auf dem Roten Platz, sondern auf einer der großen Ausfallstraßen Moskaus bei einer Parade 10.000 aktive Soldaten und Kriegsveteranen exerzieren lassen.

Kohl hat sich schon vor mehreren Wochen darauf festgelegt, er werde auf gar keinen Fall an Gedenkveranstaltungen zu einer „deutschen Niederlage“ teilnehmen. Genausowenig sei er an „Siegesfeiern“ interessiert. Der Bundeskanzler möchte einen Schlußstrich ziehen unter die jüngst vom CDU/CSU-Ehrenvorsitzenden Alfred Dregger wieder angeheizte Debatte, ob der 8. Mai 1945 den Deutschen als Tag der „Befreiung“ oder der „Niederlage“ zu gelten habe.

Kohl hatte lange mit seiner Zusage gezögert, da er wegen des russischen Einmarschs in Tschetschenien nicht an einer Militärparade teilnehmen wollte. Er wünsche sich friedliche Feste, „die in die Zukunft weisen“. Nach Ansicht von politischen Beobachtern in Moskau wird die Teilnahme Kohls an den Gedenkfeiern als weiterer Beleg für das insgesamt positive deutsch-russische Verhältnis gewertet. Das Programm, an dem Bonner und Moskauer Unterhändler noch feilen, sieht bislang vor, daß Kohl am Grab des Unbekannten Soldaten an der Kreml-Mauer einen Kranz niederlegt. Er wird außerdem einen deutschen Soldatenfriedhof am Rande Moskaus besuchen. Zudem wird der deutsche Kanzler, Seite an Seite mit Frankreichs Präsident François Mitterrand, Englands Premier John Major und US-Präsident Bill Clinton, ein neues Ehrenmal einweihen, einen Empfang absolvieren sowie Kriegsveteranen beim Paradieren auf dem Roten Platz observieren. Die Veteranen wollen zwar ohne modernes Schießgerät den Roten Platz abschreiten, dafür aber mit erbeuteten NS-Flaggen und -Standarten. Beim ganz großen Truppenaufmarsch, versprach Jelzin, müßten die westlichen Staatschefs nicht dabeisein.

Mit der russischen Gedenkfeier endet die Reihe der hochoffiziellen Großveranstaltungen in Europas Hauptstädten zur Erinnerung an den 50. Jahrestag des Kriegsendes.

Am 7. Mai beginnt das große Gedenken mit einem feierlichen Gottesdienst in der St.-Paul's-Kathedrale. Königin Elizabeth II. kredenzt ein Festbankett für Staats- und Regierungschefs aus über 50 einst kriegsbeteiligten Ländern. Nach dem Dessert steigen Tausende weißer Tauben im Hydepark dem Frieden zuliebe in den Himmel.

Am Vormittag des 8. Mai sehen sich, unter vielen anderen, Kohl und Mitterrand wieder unterm Arc de Triomphe. Der kurz nach den Feiern aus dem Amt scheidende Mitterrand will das Gedenken an das Kriegsende zu einem Vermächtnis für die Zukunft machen und eine große Friedensrede halten. Am Abend treffen sich dann alle wieder zum deutschen Staatsakt im Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt. itz