Schirm & Chiffre
: Erneut in Digitalien

■ Berlin im Medium: Die „Internationale Stadt“

Now this: In einer Kreuzberger Butze mit Außentoilette sitzt ein Verein von Medien- und Computerleuten zwischen rauschenden Rechenautomaten, vollen Aschenbechern und strahlenden Monitoren. Die sieben haben sich allerhand vorgenommen: Seit Monaten tüfteln sie an einer digitalen Version der Stadt Berlin. Und sie sind dabei schon ganz schön weit gekommen. Schon jetzt – in der Aufbauphase der „Internationalen Stadt“ – stehen die Basisfunktionen. 100 EinwohnerInnen haben sich eingeschrieben. Und es existiert auch schon so etwas wie eine rudimentäre urbane Infrastruktur: die „Internationale Stadt“ bietet einen Markt, Galerien, Veranstaltungshinweise, Zeitungskioske und eine Kontaktbörse für „interactiv socializing“.

Lokalisiert ist die elektronische Metropole im Internet – genauer: auf dessen praktischer „point-'n'-click“-Oberfläche WorldWideWeb (WWW). Architektonisch gesehen, besteht die Stadt aus einer Vielzahl von miteinander verzweigten Hypertext-Seiten. Um dort hinzukommen, muß man sich zunächst mal über einen Internet-Account ins Netz klinken und zur richtigen WWW-Adresse vortasten (http://www.is.in-berlin.de/). Auf dem Schirm erscheint nun die Eingangsseite: ein geometrisches Gebilde aus vier miteinander verbundenen Kugeln. Ab jetzt braucht's nur noch ein geschicktes Händchen für die Maus und etwas gesunden Menschenverstand für die Navigation. Durch einfaches Klicken auf die überall verstreuten „links“ und „buttons“ können die BesucherInnen durch die Schichten des urbanen Gefüges flanieren. Gimmicks allüberall. Einmal gezappt, und schon erscheinen neue Texte, Töne, Bilder und Filme.

Klar, die virtuelle Stadt möchte mehr sein als eine nette Multimedia-Spielweise für gelangweilte Real-Life-UrbanistInnen. Stadtsprecher Joachim Blank redet in diesem Zusammenhang gerne von einer „sozialen Utopie“. Das Projekt soll die „verlorengegangene Funktionalität realer Städte“ in elektronische Netzwerke transformieren. Es geht um „Gegenöffentlichkeit“. Die Inhalte von Kommunikation werden durch die Form bestimmt. Der bürokratisierten Hierarchie realer Städte wollen die „Internationalen StädterInnen“ ein sich selbst organisierendes, radikaldemokratisches System entgegensetzen. Jede/R BewohnerIn kann selber neue Seiten für die Stadt bauen, kann Privaträume und Institutionen eröffnen, Gruppen gründen oder Gruppen beitreten.

Das Ganze ist wirklich ein ernstes Thema. Denn zur Zeit tobt unter den großen Media- und Computer-Imperien ein Kampf um die Herrschaft über die Netze. Den Konzernen ist die gewachsene dezentrale Struktur des Internets ein Dorn im Auge. Was nicht kontrollierbar ist, ist auch nicht kommerzialisierbar. Langfristig soll daher das Internet durch hierarchische, zentralistische Strukturen verdrängt werden. Wer die Vertriebswege von Information beherrscht, kann auch über die Inhalte bestimmen ...

Noch ist die Freiheit der Netze fast grenzenlos. Also, besucht die „Internationale Stadt“. Und wenn euch Berlin zu blöde ist, dann probiert es doch mal mit Amsterdam (http:// www.dds.nl/). Wie man hört, soll „De Digitale Stad“ ganz wunderbar sein ... Martin Muser