Diener zweier Herrn

■ Zwei Zielgruppen, ein Konkurs: Heute wird die linke Ost-Tageszeitung "junge Welt" eingestellt

Drei Jahre ist es her, da lud die Redaktion der jungen Welt drei tazler zur Diskussion: Über das Genossenschaftsmodell wollte man reden und über die Frage, wie überhaupt kleinere Zeitungen abseits der großen Verlage heute noch überleben können.

„Unsere Auflage liegt immer noch knapp über taz“, wurde uns damals optimistisch-trotzig verkündet. Doch der steile Absturz der jungen Welt, die zu DDR-Zeiten als „Zentralorgan der FDJ“ eineinhalb Millionen Exemplare täglich verkauft hatte, setzte sich fort. Jetzt – bei unter 20.000 Exemplaren ist Schluß. (Zum Vergleich: Die taz liegt bei 60.000.) Gestern hat der Verlag Konkurs angemeldet, und die Redaktion wurde informiert, daß sie noch eine letzte Ausgabe produzieren darf, die heute erscheint.

Im April 1991 hatte die Verlagsgruppe Schmidt und Partner, bekannt für die Übernahme linker, meist notleidender Projekte, die junge Welt übernommen. Als die Auflage im Mai 1994 bis auf 28.000 gesunken war, unternahm man einen letzten Versuch: Die nur zum Teil willige Redaktion wurde vor die Alternative gestellt, mit dem Konzept des konkret-Herausgebers Hermann Gremliza weiterzuarbeiten oder eben zu gehen.

Gremliza wollte künftig zwei Zielgruppen ansprechen, wie er damals der taz erklärte: die Abonnenten im Osten, an die immer noch fast die ganze Auflage verkauft wurde, und, so Gremliza vollmundig, Leser „wie ich, ein halbwegs literater Linker“. Die „zweite Zielgruppe“ markierte der neue Herausgeber, „bin ich“.

Der Widerstand in der Redaktion, die nicht unbedingt eine tägliche konkret produzieren wollte, wurde schnell überrollt: Entweder so, oder die Zeitung wird dichtgemacht, signalisierte der Verlag. So konnte dann Gremliza erst einige seiner Stammautoren hinzuholen und dann, ein halbes Jahr später, seinen ehemaligen konkret-Redakteur (und auch, ganz früher einmal, taz-Redakteur) Oliver Tolmein auf den Platz des Chefredakteurs hieven.

Die beiden krempelten das Blatt zweimal um, jeder auf seine Art: Gremliza stiftete einige spannendene Ideen, unter anderem das Konzept, drei aktuelle und konfrontative Interviews gleich auf der ersten Doppelseite zu präsentierten, ließ aber ansonsten vieles schleifen. Tolmein dann machte die Zeitung bissiger und pflegte das dogmatische Primat der „richtigen politischen Analyse“ (Tolmein).

Jetzt standen meist längere, nicht unbedingt tagesaktuelle Meinungsartikel auf der Titelseite, und traditionelle linke Themen wie Rüstung, RAF und saurer Regen verdrängten – schon aus Platzmangel – die dem Ostpublikum (immer noch 90 Prozent der Leserschaft) vertrauten Themen. Wen im Osten interessiert schon „Die Antwort von Birgit Hogefeld auf die Kritik einer Göttinger Lesben-Gruppe“?

Über die Frage, ob die Gremliza/Tolmein-Ausrichtung auf die Traditionslinke, die fast nur im Westen existiert, die richtige Strategie war, geht bis heute ein „Riß durch die Zeitung“, wie auch Verlagsleiter Boris Gröndahl zugibt. (Der Riß soll übrigens in heutigen letzten Ausgabe offen diskutiert werden, wie gestern zu erfahren war.) „Aber jedenfalls war das ein eindeutiges Konzept, und vorher gab es keins“, sagt Gröndahl. Man habe im Westen neue Abonnenten gewonnen – in den westlichen Bezirken Berlins 300, in den alten Bundesländern noch einmal 1.500. Von durchschnittlich 100 Neu- Abos pro Woche stammten zwei Drittel aus dem Westen.

Doch die kleine Nische, die man in Kreisen traditioneller Linker damit gefunden hatte, machte die kontinuierlichen Abbestellungen aus dem Osten nicht wett: Seit Gremlizas Einstieg fiel die verkaufte Auflage weiter, von 28.000 auf unter 20.000 (inoffizielle Quellen sprechen von weniger als 18.000).

Wie rot die Zahlen tatsächlich sind, die die junge Welt seit langem schreibt, kann nur geschätzt werden. Wer allerdings weiß, wie schwer es ist, selbst mit 60.000 Auflage und wenig Anzeigeneinnahmen einen ausgeglichenen Haushalt zustande zu bringen, darf vermuten, daß die fast anzeigenfreie junge welt die Mediengruppe Schmidt & Partner in den letzten Jahren ein hübsches, vermutlich zweistelliges Millionensümmchen gekostet haben dürfte. Ein defizitäres Objekt hat die Gruppe gerade vor einigen Wochen abgestoßen: Dem sich als gesamtdeutsch verstehenden Wochenblatt Freitag teilte sie mit, es müsse sich nach neuen Geldgebern umsehen.

Wahrscheinlich ist, daß sich schon bald eher die Mitarbeiter nach neuen Jobs umsehen müssen. Sie würden dann den 57 Angestellten der jungen welt folgen, davon 40 Redakteuren, die auch, so Verlagsleiter Gröndahl, auf keinen Sozialplan hoffen können. Höchstens auf ein letztes Gehalt aus der Konkursmasse. Michael Rediske

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