Wenn Arbeit krank macht

■ Nur zehn Prozent der Bremer Berufskranken werden entschädigt. Die Bösen sind die anderen, sagten jetzt die Berufsgenossenschaften zur Arbeitssenatorin Sabine Uhl

Krank durch Arbeit – da fällt vielen die Friseuse mit dem Hautausschlag ein, vielleicht noch der Bergarbeiter mit Staublunge (Silikose), doch an erster Stelle in der bundesweiten Statistik stehen die Wirbelsäulenerkrankungen, an zweiter die Hautkrankheiten, dann kommen Lärmschädigungen, Atemwegserkankungen und an siebter Stelle Asbesterkrankungen. In Bremen sind Asbesterkrankungen allerdings die häufigsten Berufskrankheiten. Grund: die Häfen, die Werften, die Asbestzementfirma Toschi...

In rund 1.300 Fällen ging im vergangenen Jahr der Landesgewerbearzt Frank Hittmann dem Verdacht auf eine Berufskrankheit nach. 60 Prozent der Erkrankungen erkannte er schließlich als berufsbedingt. Doch eine Rente bekamen nur zehn Prozent von der Berufsgenossenschaft, einer Art Haftpflichtversicherung der Arbeitgeber, zugesprochen. Bundesweit sinken die Entschädigungszahlen von Jahr zu Jahr. 1950 zum Beispiel wurden bundesweit 9.622 Menschen mit einer Rente entschädigt, 1993 nur noch 5.668. Sind die Arbeitsplätze sicherer geworden? Da kann Angela Vogel, die Geschäftsführerin von „abeKra“, dem Verband arbeits- und berufsbedingt Erkankter e.V., nur bitter lachen. Es gebe im Gegenteil immer mehr Berufserkrankte, denn seit 1950 habe der Umgang mit Chemikalien exorbitant zugenommen. „Wer ist denn heute kein Chemiearbeiter!“ sagt sie und erinnert allein an den Vormarsch der Chemie in die Büros.

Warum werden dennoch so wenig Erkrankte entschädigt? Das interessierte die Bremer Arbeitssenatorin nicht, als sie sich jetzt mit den Berufsgenossenschaften Bau, Metall, Chemie, Großhandel und Lagerei traf. Das Interesse galt vielmehr der häufig langen Dauer der Anerkennungsverfahren. Ergebnis? Staatsrat Arnold Knigge: „Verständigt haben wir uns auf, ja, ,kleine' will ich nicht sagen, aber Schritte unterhalb der Gesetzesebene.“ Zu Beginn wiesen die Berufsgenossenschaften jedoch erstmal alle Schuld weit von sich. Sie würden ja gern entschädigen, allein die ÄrztInnen gäben nicht jeden Verdacht weiter, obwohl dazu verpflichtet. Das Arbeitsressort will nun also über die Ärztekammer die ÄrztInnen sensibilisieren. Wenn Angela Vogel von diesem Vorwurf an die ÄrztInnen hört, kann sie nur den Kopf schütteln. „Niedergelassene Ärzte, die früh erkennen und melden, werden doch regelrecht abgeschreckt von den Berufsgenossenschaften!“

Als kleinen Erfolg kann die Arbeitssenatorin jedoch verbuchen, die Berufsgenossenschaften zu mehr Sonderbeauftragten bewegt zu haben, die senken nämlich die Bearbeitungszeiten. Bislang gibt's die nur für Krebserkrankte. Sonderbeauftragte besuchen die Erkrankten zuhause, lassen sich dort die Berufsgeschichte erzählen, das ganze Verfahren liegt in einer Hand.

Viel wichtiger als diese kleinen Veränderungen wäre jedoch die Unabhängigkeit der GutachterInnen von den Berufsgenossenschaften, findet Christine Bernbacher, Gesundheitsexpertin der Grünen. Allzuoft haben ihr Betroffene erzählt, wie die Berufsgenossenschaft sie zu Gutachtern in anderen Bundesländern geschickt habe, nachdem die Bremer GutachterInnen für eine Rente plädiert hätten. Der Bremer Landesgewerbearzt Hittmann würde sich gern mit den Berufsgenossenschaften auf eine Liste ganz bestimmter GutachterInnen einigen. Doch bislang hat die andere Seite nur zugesagt, daß man sich darüber noch „verständigen“ werde.

„Im Grunde ist nicht viel bei dem Gespräch rausgekommen“, schimpft die Grünen-Abgeordnete Christine Bernbacher. Peanuts, sagt auch die AbeKra-Geschäftsführerin Angela Vogel. Dringlicher wäre, daß endlich die Beweislast umgekehrt werde. Im Moment nämlich ist der Erkrankte der Gekniffene, wenn ein Zusammenhang zwischen seiner Erkrankung und seinem Arbeitsleben nicht festgestellt werden kann (zum Beispiel, weil es die Firma nicht mehr gibt, weil keine Unterlagen über seinen Arbeitsplatz vorliegen usw.) Beweislastumkehr hieße: Im Zweifel für den Erkrankten. Der Bundesrat entschied 1992, daß, sollte es zu einer Reform des Berufskrankenrechts kommen, darin die Beweislast umgekehrt wird. Nun liegt eine solche „Reform“ der Bundesregierung als Vorschlag vor, doch von Beweislast ist darin keine Rede. Die SPD-regierten Länder wollen jedoch darauf beharren, sagt Arnold Knigge, der Staatsrat im Arbeitsressort. „Wir sehen da bei der Bundesregierung einen gewissen Lernprozeß.“ cis