■ Schützt die deutsche Hausratte!
: Erfolgstyp aus der Gosse

Düsseldorf (taz) – Durch ein mannshohes, von Wasserrauschen und verdächtigen Pfeiftönen erfülltes Kanalisationsrohr tritt der Besucher ein. Dabei kann er schon den erste Vorposten jener Tierart in die Knopfaugen schauen, der diese Sonderausstellung gilt: Ratten (Löbbecke Museum + Aquazoo, bis Ende 1995). Hätten Sie gedacht, daß die Ratte hierzulande in ihrem Bestand stark gefährdet ist und deshalb auf der Roten Liste steht? Genauer gesagt: die Hausratte? Die stammt aus dem (sub)tropischen Südostasien und macht es sich in unseren Breiten gern in oberen Stockwerken und auf Dachböden gemütlich. Veränderte Vorratswirtschaft der Menschen und giftige Kampagnen haben rattus rattus in Deutschland schwer zugesetzt. Nicht dagegen rattus norvegicus, der Wanderratte. Robust wie sie ist, schlägt sie sich noch unter widrigsten Bedingungen durch. Erst recht, wenn sie allenthalben paradiesisch überquellende Müllhalden vorfindet.

Anno 1727 soll die Wanderratte, aus den Steppen Ostasiens kommend, in hellen, besser gesagt: dunklen Haufen die Wolga bei Astrachan überquert haben. Keine dreißig Jahre später tauchte sie schon in Nordamerika auf; als blinder Passagier und getreu dem Motto „Go West!“ hatte sie sich über den großen Teich schippern lassen. Slumkinder in New York und anderswo wissen ein Lied vom Nager zu singen (die, in die Ecke getrieben, grundsätzlich zum Angriff übergehen). Die Düsseldorfer Ausstellung zitiert auch einen schaurigen Bericht von 1883 („Westfalens Tierleben in Wort und Bild“), wonach ein zweijähriges Kind zu Münster den Bissen einer Ratte erlag. Öffnet man dann ein diskretes Wandtürchen, streckt sich einem die bleiche, angenagte Babyhand direkt entgegen – in Spiritus eingelegt. Gefälliger wirkt eine in die Kloschüssel plazierte Ratte („Erfolgstyp in der Gosse“ steht darüber); hier kann man Besucherausrufe hören wie: „Guck mal, Mami, wie bei uns zu Hause!“ (Tip an die Museumsleitung: Achtung, winzige Ameisen organisieren die heimliche Ausdehnung des ausgestopften Tieres!)

Alles in allem aber weckt die Schau tiefe Sympathien für Haus- und Wander-, Rohr- und Strauch-, Bisam- und Bambusratte nebst weiterer Verwandtschaft mit ihren über 500 Varianten. Wenn die Tiere untereinander kämpfen, erfahren wir, so tun sie dies strikt unblutig; statt zu beißen, trommeln und treten sie mit den Pfoten aufeinander ein – im fairen Boxkampf also. Daß sie sehr gelehrig sind, hat Skinner längst nachgewiesen: Höchstens 30 Minuten brauchen sie, um mit dem Hebel ihrer Futtermaschine souverän umzugehen. Kein Wunder, daß es in Indien Tempel gibt, wo Ratten verehrt werden, sich viele Menschen für Nachkommen der göttlichen Ratten-Urmutter Karni Mata halten – und im nächsten Leben wieder mal als Ratten zu wandeln gedenken.

So weit gehen die Vereine der Rattenliebhaber und -züchter in Deutschland (VdRD e.V.) nicht unbedingt, die sich vor zwei Jahren in Frankfurt zusammengeschlossen haben und das Organ Ratt-Geber herausbringen. Daß aber Ratten „äußerst interessante und empfehlenswerte Haustiere“ sind, steht für sie fest wie ein Nagezahn. Ratten sind anschmiegsam wie Katzen, im Gegensatz zu diesen kann man sie aber bequem unterm Pullover überallhin mitnehmen.

Tröstlich auch zu wissen, daß es hienieden noch kerngesunde Ratten geben wird, wenn der Saurier homo sapiens sapiens sich längst verabschiedet hat: Zwölf Jahre Atombombentests auf dem Bikini- Atoll haben die dortigen Nager völlig unbeeindruckt gelassen.

Für zwei Mark gibt's an der Museumskasse den Aufkleber: „Ein Herz für Ratten“. Olaf Cless