Ab nächste Woche dünnere Welt?

■ Möglicherweise kann eine Mitarbeitergesellschaft das Ende der „jungen Welt“ vorerst stoppen / Aber wer weiß das schon

Berlin (taz) — Mehr „gedrucktes Fernsehen“, weniger gedruckte Zeitungen: Die linke Tageszeitung junge Welt liegt heute in keinem Kiosk mehr aus und steckt in keinem der 17.405 Briefkästen der Abonnenten; ihr Herausgeber „Azurro“-Verlag hat gestern morgen Konkurs angemeldet (siehe taz vom 5.4.)

Wie Verlagsleiter Boris Gröndahl gestern auf einer Pressekonferenz erklärte, war die Einstellung des Blattes notwendig geworden, „weil sich keine anderen Investoren gefunden haben, um die nächsten drei Monate zu überbrücken“.

Für Überraschung sorgte Gröndahl, als er auf die Frage, wie denn die Abonnenten ihr vorgestrecktes Geld zurückbekämen, antwortete: „Dies wird dann nicht nötig sein, wenn am nächsten Montag eine neue junge Welt wieder ausgeliefert werden kann.“ Es gebe Verhandlungen über eine Mitarbeitergesellschaft, die mit einem neuen alten Chefredakteur Oliver Tolmein eine „abgespeckte, 16seitige Zeitung zumindest für ein Quartal“ herausgeben könnte.

Nähere Erkenntnisse darüber werde es erst auf der Betriebsversammlung geben, die noch gestern stattfinden sollte.

„Wir haben in die Zeitung unser ganzes Leben reingehängt“

Von einer inhaltlichen Diskussion über das Scheitern der jungen Welt konnte keine Rede sein. Hermann Gremliza, der seit Mai 1994 für das neue, an der westdeutschen außerparlamentarischen Linken ausgerichtete Konzept verantwortlich ist, gab sich weniger selbstkritisch als selbstzufrieden: „Ich habe das Blatt gerne gelesen. Die Situation ist traurig, aber immerhin, man muß sich nicht schämen für das, was wir gemacht haben.“ Und: „Für mich ändert sich nicht viel: So wie ich die letzten 20 Jahre konkret herausgegeben habe, werde ich das auch die nächsten 20 Jahre tun.“ (Zwischenruf Tolmein: „Erzkonservativ!“)

Auch die Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden Dietmar Koschmieder beschränkten sich auf die finanzielle Seite des Unternehmens „linke Tageszeitung“. Man hätte eben nicht genügend Zeit — weniger als ein Jahr — gehabt, um neue Leserschichten zu erschließen. Oliver Tolmein fügte hinzu, daß man sich gerade auch um Ost-Themen bemüht habe. „Vielleicht zu wenig“, schob er sachte nach.

Für die 57 Mitarbeiter hängt jetzt alles davon ab, ob es eine Mitarbeitergesellschaft geben wird. Wenn nicht, bleibt nur der Weg zum Arbeitsamt. „Wir haben hier weniger einen Job gehabt als unser ganzes Leben reingehängt“, sagte ein Redakteur. Allein Chefredakteur Tolmein kann sich damit trösten, wenigstens eine seiner Vorgaben erreicht zu haben: „Wir waren immer um eine Zeitung bemüht, die keine zu hohe Auflage bekommt.“ Wolfgang Farkas