Die TAZ bringt die deutsche Ausgabe der renommierten Monatszeitung Le Monde diplomatique

Daß just die linke, freche, alternative oder wie auch immer schubladisierte taz eine deutsche Ausgabe von Le Monde diplomatique herausgeben wird, mag erstaunen. Mit der „diplomatischen Welt“ hat die taz bislang eher gehadert. Und der diplomatische Umgang mit harten Fakten ist ihr geradezu wesensfremd. Tatsächlich liegen die Ursprünge der beiden Medien meilenweit auseinander: Die taz ist Produkt eines antistaatlichen Milieus der 70er Jahre, Le Monde diplomatique war ursprünglich so etwas wie eine kritische außenpolitische Stimme, die sich direkt an staatliche Institutionen wandte. Und doch haben sie heute auch vieles gemein.

Le Monde diplomatique hat eine über vierzigjährige Geschichte. 1954, kurz vor der endgültigen militärischen Niederlage Frankreichs in Indochina, gründete Hubert Beuve-Méry als Herausgeber von Le Monde die neue Monatszeitung als Organ speziell für „die dipomatischen Kreise und die internationalen Organisationen“. „Alte und neue Diplomatie“ hieß die Überschrift zu ihrem ersten Leitartikel im Mai 1954. Le Monde diplomatique forderte eine Rückbesinnung auf das Selbstverständnis von „Diplomatie“ als einer Kunst, den Frieden zu stiften.

Es ging Beuve-Méry nicht zuletzt darum, den Prozeß der Entkolonialisierung zu begleiten, die französische Nation und ihre Vertreter hinter dem starren selbstgeschaffenen Verteidigungswall hervorzulocken und den Blick zu weiten auf die groß gewordene Welt. Fundierte Hintergrundtexte sollten dem Feindbild des bedrohlichen Fremden entgegenarbeiten und eine Neudefinition der eigenen Einflußmöglichkeiten vornehmen.

Rasch gewann das neue Projekt an Lesern. Die neue Weltordnung und die wachsenden Widersprüche wurden in den gründlich recherchierten Artikeln der Zeitung nicht in Schachteln gepackt, sondern in ihren Hintergründen und Perspektiven beleuchtet. 1973 übernahm Claude Julien die Chefredaktion, seit 1991 wird sie von Ignacio Ramonet geleitet.

Le Monde diplomatique ist inzwischen eine weltweit einflußreiche Institution – vierzig Prozent ihrer Auflage von 180.000 verkauft sie außerhalb Frankreichs. Ihren letzten großen Auflagenschub erlebte sie nach dem Mauerfall.

Le Monde diplomatique geht davon aus, daß ihre Leser von der gleichen Gier beseelt sind wie ihre Autoren: zu verstehen, innezuhalten, Zweifeln Raum zu geben. „Wir wollen mit dem Leser die neue Komplexität der Weltordnung beleuchten, tastende Denkversuche unternehmen, wie sie dieser Zeit des Wandels eigen sind“, schrieben ihre Redakteure 1992 in einer Selbstdarstellung.Sie stehen in der Tradition des französischen Universalismus. Le Monde diplomatique ist keine Zeitung für Afrika-, Kultur- oder Lappland-Experten, sondern sie will weltweite Prozesse zueinander in Beziehung setzen, Abhängigkeiten analysieren, Perspektiven intellektuell ausloten, reflektieren – Monat für Monat.

Rein äußerlich schon spiegelt die Zeitung die Zumutung des Denkens: In einer Zeit, da die Zeitungsartikel immer gehetzter geschrieben, die Formate der Zeitungen kleiner und die Schriftdurchschüsse immer größer werden, hat Le Monde diplomatique den Mut zu „langen Riemen“, zu „viel Blei“. Es ist, will man die Komplexität des Geschehens erfassen, unentbehrlich, Hintergründe auszuleuchten, historische Vorläufer zu bemühen, soziale und kulturelle Auswirkungen ebenso wie ökonomische und ökologische Implikationen zu debattieren.

Le monde diplomatique ist zur Zeit eine der ganz wenigen Monatszeitungen, die versuchen, die Welt als Ganzes zu denken. Ob die Lage in Bosnien, der Genozid in Ruanda, der gefährdete Frieden im Nahen Osten, der Tschetschenienkrieg, die Entwicklung in der Medienlandschaft, der Wandel des Politikbegriffs, die Folgen des Neoliberalismus, die Datenautobahnen oder die Neuverhandlung des Atomsperrvertrages – all das hat sie ebenso im Visier wie die neuen Tendenzen in der Geschichtswissenschaft oder die Auswirkungen des wachsenden Nationalismus.

Insofern ist heute, nach nunmehr vierzig Jahren, Le monde diplomatique die zeitgemäße Antwort gegen das drohende Zerfallen der Welt-Ansicht in Spezialisten hier und Experten da. Ihren redaktionellen Prinzipien ist sie treu geblieben:

– Die Redaktion veröffentlicht keine Interviews.

– Sie läßt in ihren Spalten so wenig als möglich Politiker zu Wort kommen, und schon gar keine, die sich auch in anderen Medien äußern können.

– Es erscheinen nur unveröffentlichte Texte.

„Sich zu informieren ist eine Tätigkeit, der der citoyen mit Fug und Recht einen Teil seiner Zeit und seiner Aufmerksamkeit widmen sollte“, sagt Ignacio Ramonet.

Mit Le Monde diplomatique können die Leser der taz bundesrepublikanische Denkschemata verlassen. In einer Zeit, da – fünfzig Jahre nach der Kapitulation Deutschlands – die Überwindung nationalstaatlicher Sichtbegrenzungen wieder fällig ist – schafft die deutsche Ausgabe der Monde diplomatique eine Horizonterweiterung. Marie-Luise Knott