Die "Milch der Götter"

■ Hanföl wurde schon von den alten Völkern genutzt / Rohstoff noch unerforscht

Als „Milch der Götter“ wurde der Hanf von den alten Völkern verehrt, für eine meterhohen Faserpflanze eine etwas merkwürdige Bezeichnung. Doch liefert Hanf eben nicht nur Fasern, sondern auch ölhaltige Samen, die ein wichtiges Nahrungsmittel darstellten.

In vielen Weltgegenden stellten Hanfsamen die Grundversorgung der Bevölkerung mit Proteinen und essentiellen Fettsäuren sicher. Hanföl, zu etwa 30 Prozent in den Samen enthalten, wurde als Speiseöl verwendet und stellte darüberhinaus einen wichtigen technischen Rohstoff dar. Als Grundstoff für Farben und Lacke, für Holzpflege- und Imprägnierungsmittel, für Kosmetik und Hautpflege sowie als technisches Öl. So malten die alten Meister nicht nur auf Hanf-Leinwand, auch ihre Farben bestanden aus Hanf- und Leinöl. Bevor Rockefeller im vorigen Jahrhundert kostenlose Petroleumlampen an die Bevölkerung verteilen ließ, zählte Hanföl zu den meistverkauften Lampen-Brennstoffen in Amerika. Mit dem Niedergang und Verbot der Hanfindustrie in diesem Jahrhundert wurden die zahlreichen Produkte aus Hanföl durch petrochemische Produkte oder andere Pflanzenöle ersetzt. Mit der Wiederentdeckung des Hanfs als ökologischem Papier-und Textilrohstoff erlebt jetzt auch das Hanföl wieder eine Renaissance – und offenbart zur Überraschung der Experten ganz erstaunliche Eigenschaften.

„Kaltgepreßtes Hanföl enthält noch mehr dreifach ungesättigte Fettsäuren als Leinöl, es schmeckt nußig und weniger streng“, so Kay Kühnel von der Zehlendorfer Ölmühle, die vor kurzem Speiseöl auf den Markt gebracht hat. Die Frische und eine niedrige Preßtemperatur sind besonders wichtig: die wertvollsten Bestandteile, dreifach ungesättigte Fettsäuren, werden durch Wärme zerstört und durch Sauerstoff abgebaut. Deshalb sollte Hanföl möglichst frisch verzehrt und nicht zum Braten verwendet werden.

Die im Hanföl sehr reichlich enthaltene ungesättigte Linolsäure ist nicht nur essentiell für die menschliche Ernährung, sondern auch gut für die Haut – weshalb Leinöl jetzt für die Herstellung von Naturkosmetik wiederentdeckt wurde. Seife, Balsam, Shampoo und weitere Hanf-Kosmetik sind auf dem jungen Markt für Hanfprodukte einer der Bestseller. Die Anbieter diskutieren zur Zeit eine genaue Deklaration der Hanfanteile, um Etikettenschwindel vorzubeugen.

Vom Hanföl angetan sind auch die Pflanzenchemiker der Firma Luvos, die den lange vergessenen Rohstoff jetzt für zahlreiche ihrer Naturfarben und Pflegeprodukte einsetzen, mit überraschenden Ergebnissen. So wurde die Wischfestigkeit von Wandfarbe durch den Einsatz von Hanföl wesentlich verbessert, ebenso die Wasserbeständigkeit natürlicher Imprägnierungen und Schuhcremes. Selbst lange bewährte Holzpflegemittel wurden durch die Kombination mit Hanföl deutlich verbessert.

Warum Hanföl die Experten auf verschiedenen Gebieten durch seine praktischen Qualitäten überrascht, ist einerseits kein Wunder – es ist seit der Steinzeit auf allen diesen Gebieten bewährt – andererseits aber doch noch ein Rätsel. Unter Leitung von Prof. Theimer (Uni Wuppertal) rücken deshalb jetzt Wissenschaftler der biochemischen Struktur des Hanföls zu Leibe. Die archaische „Milch der Götter“ könnte in Zukunft noch für weitere Überraschungen gut sein. Rolf Achteck