Ein bißchen Theater, ein bißchen Politik

■ Die Umweltgruppen ziehen Bilanz: Der Berliner Klimagipfel war ein Mißerfolg, aber kein Desaster / Zurück zu den Gegengipfeln der letzten Jahre will aber keiner

Die ersten zehn Tage war es ihr Job zu kritisieren. Gab es um zehn Uhr morgens eine offizielle Stellungnahme oder kursierte ein Gerücht über neue Verhandlungstrends, konnte man sicher sein, daß die Umweltgruppen dazu in ihrer Pressekonferenz um zwölf Uhr mittags zitierbare kritische Worte liefern würden. Seit Mittwoch nun sind die regierungsunabhängigen Organisationen, wie sie im UNO- Jargon heißen, auf dem konstruktiven Trip: Erst lobten sie die Rede von Kanzler Kohl, und nun, zum Abschluß des Gipfels, hörte man plötzlich Sätze wie diese: „Es ist ein politischer Erfolg des Klimagipfels, daß der Vorschlag der Inselstaaten nun massiv unterstützt wird – von achtzig Staaten im Süden, von 159 Städten, vom Weltkirchenrat und vom DGB.“ Soweit Hermann-Josef Tenhagen, Pressesprecher des Klimaforums, gestern vormittag.

Vor einer Woche, als alles das auch schon feststand, war die offizielle Einschätzung der Umweltgruppen regelmäßig erheblich kritischer.

Nun wäre es sicher zu simpel, daraus zu schließen, daß sich die Aktivisten jetzt zu Schönrednern gewandelt haben, um über ein Scheitern des Gipfels hinwegzusehen. Etwa nach dem Motto: Wir waren ja unter den Akteuren, also kann das Ergebnis so schlecht nicht sein.

Die Ursachen für diesen scheinbar plötzlichen Stimmungswandel liegen tiefer. Letztlich liegt es am Selbstverständnis der Umweltgruppen: „Wir produzieren den Druck von außen, und in den Delegationen können sich die umweltpolitisch aufgeschlossenen Mitglieder auf unsere Kritik berufen“, sagt Sascha Müller-Kraenner vom Deutschen Naturschutzring. Es gebe eine Art Arbeitsteilung zwischen beiden Seiten; die eine piesackt immer ein bißchen, und die andere bewegt sich wieder ein Stück weit. Und am Ende von zwei Wochen Gipfeldiplomatie, wenn das Ergebnis ausgehandelt ist, kann man dieses taktische Spiel mal seinlassen – und die andere Seite, Gegner und Partner in einem, auch mal loben ...

Daß der Verhandlungsprozeß nach diesem Prinzip funktioniert, sagt auch Franz-Josef Schafhausen, einer der ranghohen Delegierten aus dem deutschen Umweltministerium: „Natürlich ist es ein Rollenspiel, das wir hier aufführen“, meint Schafhausen, „man braucht in bestimmten Bereichen einfach den Druck von außen, um manches durchzusetzen.“ Gerade gegenüber anderen Ministerien sei es oft äußerst nützlich, auf die Kritiker von außen hinweisen zu können, so der Mann aus Angela Merkels Ministerium.

Bleibt nur die Frage, wie erfolgreich das Rollenspiel war. Das Ergebnis sei ungefähr in der Mitte zwischen seiner optimistischen und seiner pessimistischen Prognose, sagt Sascha Müller-Kraenner: „Es hätte hier in Berlin auch passieren können, daß die ganze Klimakonvention scheitert.“ Diese Befürchtung habe sich nicht bestätigt; genausowenig allerdings die Hoffnung auf ein klares Verhandlungsmandat für die Zeit nach dem Gipfel: „Was wir jetzt haben, ist ein wachsweicher Verhandlungsauftrag. Das ist kein Desaster, aber ein Mißerfolg.“

Zurück zum Konzept des Gegengipfels will er nicht, genausowenig wie alle anderen im „Climate Action Network“ oder den sonstigen Gruppen. „Wir kennen den Verhandlungsprozeß mittlerweile ziemlich genau, und wir wollen ihn nutzen“, so Müller-Kraenner. Die hohen Erwartungen von Rio hätten sich zwar nicht erfüllt; seit damals sei ein umweltpolitisches Rollback festzustellen. „Doch auch wenn die Schritte jetzt kleiner sind, als wir vor drei Jahren gehofft haben: Wir haben keine Alternative zum Prozeß.“

Selbst Birgit Siemen vom BUND, die sich während des Gipfels über das deutliche Lob für Kohls Rede beschwerte, kann sich einen Ausstieg nicht vorstellen: „Es ist einfach eine Chance für die Umweltgruppen, Einfluß zu nehmen.“ Das äußerste, was sie für möglich hält, wäre die Verringerung des Gipfeltourismus: „Die Konferenz nächstes Jahr könnte man vielleicht ausfallen lassen, wenn es erst 1997 wieder richtig ernst wird“, meint sie.

Der Schwerpunkt der nächsten Monate dürfte sich allerdings deutlich verschieben – ein Stück weit weg vom internationalen Verhandlungsmarathon, hin zu einer Diskussion der nationalen Klimaschutzziele: „Helmut Kohl hat dieses deutsche Ziel in seiner Rede – 25 Prozent bis 2005 – gerade wieder bekräftigt und sogar verstärkt“, sagt Birgit Siemen. Und das müsse man nun kritisch begleiten. Felix Berth