Lebend tot

■ TiK: Barbara Kröger inszenierte „Jubiläum“ von George Tabori

Die Toten regen sich, entsteigen traumwandlerisch den weißen Holzkisten, stimmen ein in den Klagegesang der Loreley: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten...“ ...bis ein Schuß fällt. Doch, so scheint's, was schert's die Toten, man hat nur einmal gelebt. Nun schauen sie gelassen einer Gestalt im Ledermantel zu, die „Juda verreke“ auf die Friedhofsmauer und Hakenkreuze auf die Erdmöbel sprüht. Freundlich, aber bestimmt wird die Orthographie auf Anweisung der Toten korrigiert.

George Tabori hatte die Friedhofs-Farce Jubiläum zum 50. Jahrestag der Machtübernahme durch die Nazis geschrieben und die Uraufführung am 30. Januar 1983 in Bochum inszeniert. Am Freitag setzte nun die Regisseurin Barbara Kröger im Reigen der diesjährigen Anhäufung von Gedenktagen, -stunden und -minuten mit ihrer Debüt-Inszenierung des Jubiläums im TiK einen grotesken Kontrapunkt gegen eine Ermüdung der Erinnerung als Folge standardisierter Rituale.

Im Bühnenbild von Alexander Herrmann genügen Holzkisten auf Borkenstreu als Welt für fünf tote und zwei lebende Personen. Hier erinnern die Erblaßten ihr Leben und Sterben, ihre Ermordung oder wie sie in den Selbstmord getrieben wurden, erinnern sich nüchtern und gelindert nur von der Tabori eigenen drastischen „Heiterkeit der Verzweiflung“: das jüdische Musiker-Ehepaar Stern (Angelika Thomas und Christoph Bantzer mit lakonischem Sarkasmus und einer Blüte im Knopfloch) und ihre behinderte Nichte Mitzi (Alexandra Henkel), Otto, der tuntig-kölsche Friseur (Jörg Holm), und seine Frau Helmut (Josef Bilous); als Lebende der wortkarge Totengräber (Peter Maertens), assistiert vom gräberschändenden Nazi Jürgen (Klaus Rodewald zwischen Weinerlichkeit und Größenwahn) mit dem „schönen Mund, der nach dem starken Mann dürstet“.

Die Toten sprechen mit den Lebenden, sie wechseln die Rollen, sind Staatsanwalt, Täter, Vater und Opfer und beleuchten punktuell die Wunden ihrer Geschichten, garniert mit einem Judenwitz als Running-gag, sowie Klezmer und deutschem Liedgut als vereintem Kulturerbe der fidelen Friedhofsgesellschaft. In manchen Momenten ist das „Jubiläum“ wirklich zum Lachen. „Einen Witz nehme ich immer todernst, weil für mich der Inhalt eines Witzes immer eine Katastrophe darstellt“, schreibt George Tabori. Mit Ernst und Akribie feilten Barbara Kröger und das Ensemble die Komik des „Jubiläums“ aus und öffnen damit den Blick für lebendige Vergangenheiten.

Julia Kossmann