Großversuch in Sachen Streitkultur

■ „Mediator“: Eine kleine Oldenburger Firma will den großen Streit um den Berliner Großflughafen entschärfen

Die Bilder kennt man nur zu gut: Zuerst ist da ein eilig durchgezogenes, von Umweltverbänden scharf kritisiertes Planungsverfahren für eine Autobahn, einen Flughafen oder eine Klärschlammdeponie. Dann rücken die österreichischen Holzfäller an, die im Akkord ganze Wälder umlegen. Daraufhin tauchen vermummte Kämpfer und Hüttendorfbauer auf, dicht gefolgt von Hundertschaften Bundesgrenzschutz. Massendemonstrationen, Gewalttaten, Verletzte, Inhaftierte. Parallel und mit gutem Erfolg bieten Umweltschützer alle denkbaren Mittel auf, um das Verfahren auf der juristischen Ebene zu stoppen.

Der beschriebene Ablauf scheint einem unabänderlichen Gesetz zu folgen. Die Realisierung umweltrelevanter Großprojekte ist heute nur noch möglich unter erheblichem Einsatz von Staatsmacht und juristischer Finesse. Abgesehen vom sozialen Unfrieden ist dieses Verfahren auch ökonomisch eine Katastrophe. „Aber das muß doch gar nicht erst so weit kommen,“ sagen kluge Leute wie Thomas Barbian. „Mediation“ heißt das Zauberwort, kommt natürlich aus den USA und bedeutet: Bevor ein absehbarer Konflikt ausgebrochen ist, setzt man alle potentiell Betroffenen an einen Tisch und bringt sie ins Gespräch. Der „Mediator“ vermittelt, schlichtet, informiert, deeskaliert, organisiert und hält das Gespräch so lange in Gang, bis eine Entscheidung gefunden ist, in der sich alle Beteiligten wiederfinden können. Dies wäre der Idealfall.

Barbian ist Geschäftsführer der „Mediator - Zentrum für Umweltkonfliktforschung und -management GmbH“ an der Uni Oldenburg. Chef ist Horst Zilleßen, Oldenburger Hochschullehrer und Ex-Unipräsident. 1990 als Projekt an der Uni Oldenburg entstanden, ist Mediator heute eine GmbH mit einer 3/4 Million Umsatz und im Mittelpunkt des Interesses internationaler Umweltkonfliktforscher: Mediator begleitet friedensstiftend das Megaprojekt „Großflughafen Berlin-Brandenburg“, ein Unternehmen, das möglicherweise ein Vielfaches der Sprengkraft einer Frankfurter Startbahn West besitzt.

In einem kleinen Zimmerchen außerhalb der Uni sitzt Thomas Barbian unter einer Karte vom Großraum Berlin, auf der die Namen Schönefeld, Sperenberg und Jüterborg markiert sind, die möglichen Großflughafen-Standorte. Schönefeld würde die meisten Menschen betreffen, Sperenberg und Jüterborg die meisten Bäume und Tiere. Man ahnt die Fronten. „Früher,“ weiß Barbian, „hätte man jetzt vier Wochen die Pläne ausgelegt und damit basta. Das Planfeststellungsverfahren ist ein feudales Relikt.“ Die Landesregierung von Brandenburg wählte lieber einen anderen Weg: die Mediation. 500.000 Mark im Jahr läßt sie es sich kosten, alle potentiellen Streithähne in „Bürgerbüros“ und auf regelmäßigen „Flughafen-Foren“ zusammenzubringen. Mehrere Aktenmeter Planungsunterlagen wurden (erstmals) allen Beteiligten zur Verfügung gestellt. Hunderte von Personen, das Spektrum reicht vom BUND-Aktivisten bis zum Flughafeninvestor, wurden von Mediator ins Gespräch, ach was: in Serien von Gesprächen gezogen. Ein Großversuch in Sachen Streitkultur.

Eine solche Mediation ist keine psychologische Unternehmung, obwohl das von Gegnern immer wieder vermutet wird, die Angst haben, eingewickelt und eingekauft zu werden. Eher ist sie ein Resultat politischer Überlegungen. Hintergrund ist der Gedanke, daß Staat und Justiz zunehmend überfordert sind mit den Ansprüchen auf Konfliktregelung, die aus der Gesellschaft kommen. Mediation, sagt Barbian, will Verantwortung vom Staat in die Gesellschaft zurückverlagern. Barbian ist Politikwissenschaftler, hat 1988 über die hessische Umweltpolitik promoviert und hat in Joschka Fischers Umweltministerium mitgearbeitet. 1989 und 1990 ging er für die Grünen als politischer Berater nach Thüringen, danach hatte er beim Europaparlament einen Forschungsauftrag. 1990 kam er nach Oldenburg. Und wurde Mediator.

Mediator, Moderator, Schlichter – Berufe mit Zukunft. Was muß ein Mediator können? Er muß, sagt Barbian, nüchtern und ausgeschlafen sein, diszipliniert, ordentlich angezogen. Er muß sich jede Menge Sachkenntnis besorgen und in der Lage sein, Körpersprache zu verstehen. Und er muß streng neutral sein, versteht sich. Doch wie geht das, wenn einer den Grünen nahesteht und mit einem gigantischen Flughafenprojekt konfrontiert ist? Das sei letztlich eine Frage der Information. „Ich weiß viel zu viel für eine eigene Meinung!“

Erste Gehversuche machte „Mediator“ 1992 bei einem Auftrag der niedersächsischen Umweltministerin Griefahn, da ging es um ein Sonderabfallwirtschaftskonzept für das Land. Der Versuch, alle „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ an der Diskussion zu beteiligen, endete in Streit und Ärger. Später setzten sich in aller Heimlichkeit und unter der Moderation von „Mediator“ VW und Greenpeace an einen Tisch, um über Dieselmotoren und ein 5-Liter-Auto zu diskutieren. Immer – auch aktuell beim Flughafen Berlin-Brandenburg –stand die Mediation auf wackligen Beinen: Sich mit politischen Kontrahenten und Interessensgegnern an einen Tisch zu setzen, bleibt gewöhnungsbedürftig. Im Zweifel setzen Streithähne lieber auf die bekannten Strategien und ersehnen ein Machtwort vom Staat, von der Justiz (bzw. eine machtvolle Großdemo). Erhebliche Probleme mit der Mediation haben offenbar Umweltgruppen, die fürchten müssen, am Ende als Beteiligte an einem faulen Kompromiß dazustehen. So haben die Brandenburger Umweltverbände inzwischen das „Flughafenforum“ verlassen. „Die wollen keine Verantwortung für einen Flughafen übernehmen,“ meint Barbian. Was die Ökos nicht daran hindert, auf lokaler Ebene weiter mit „Mediator“ zusammenzuarbeiten.

Erfolgskontrolle gibt es in Mediationsverfahren noch nicht. Die Öffentlichkeit hat allerdings einfache Kriterien: kracht es oder kracht es nicht? Den Mediator interessiert eher: wieviel Krach gibt es? Denn egal, wo der Großflughafen schließlich hinkommt: Wenn die Entscheidung demnächst gefallen ist, wird es Ärger geben, ohne Zweifel. „Radikale und Chaoten“ sitzen nicht mit am runden Tisch, „diese Krawallos und Null-Bock-Leute“ habe man noch nicht erreichen können. Wenn die Gewalt am Flughafenzaun eskaliert, wird es überall heißen, der Bürgerdialog hat nichts gebracht, er ist gescheitert. Wenn aber die Eskalation verhindert werden kann, ja dann: „Dann gibt es einen gewaltigen Schub für die Mediation.“

Den Schub bekäme selbstredend die kleine Firma zu spüren. Genung zu tun gibt es dabei für Mediator ohnehin. Denn mit einem zweiten Bein mischt die Oldenburger GmbH ordentlich in der Mediationsforschung mit. So startet im April ein DFG-finanziertes Projekt zur Frage: „Wie kann Mediation in unser politisches System integriert werden?“ Dabei geht es um nichts weniger als eine neue Staatstheorie, ach was: eine Revolution womöglich. Immerhin passiert in Mediationsverfahren im Idealfall politische Willensbildung, reifen Entscheidungen von großer Tragweite. Eigentlich Vorgänge, für die hierzulande Parlamente vorgesehen sind. „Mediation stellt parlamentarische Strukturen infrage. Der Mediator ist nicht gewählt. Wer kontrolliert ihn?“ fragt Thomas Barbian. Sonderlich besorgt wirkt er nicht. Burkhard Straßmann