Massenschwof und Freudenwellen

Zwei Jahre nach einem ersten Scheitern versucht der US-Profi-Football mit der neustrukturierten „World League of American Football“ erneut in Europa Fuß zu fassen  ■ Aus Frankfurt am Main Andreas Lampert

Als Jim Miller und Paul Justin sichtlich müde am späten Samstagabend durch die Katakomben des Frankfurter Waldstadions humpelten, war ihnen klar, daß Footballspielen in Deutschland nichts mit irgendwelchen Naturburschen in Lederhosen zu tun hatte, wie ein Witzbold auf der Pressekonferenz in den Raum warf. Vielmehr waren die beiden amerikanischen Quarterbacks der „Frankfurt Galaxy“ Betroffene der rauhen Gangart, die das Lieblingsspiel ihres Heimatlands nun mal mit sich bringt. „Nein, ich habe nur eine schmerzhafte Hüftprellung, nichts Besonderes“, meinte der lässig an seinem Grunge-Bärtchen zwirbelnde Miller verschmitzt. „Das ist Alltag, das übliche Zeugs, die ganz normale Härte“, fügte sein blauäugiger Kollege Paul Justin grinsend hinzu. „Morgen ist wieder Training.“

In den drei Stunden zuvor hatten die beiden Sturmführer einen nicht unbescheidenen Anteil daran, daß ihre Mannschaft im Eröffnungsspiel der neustrukturierten „World League of American Football“ (WLAF) einen nie gefährdeten 45:22-Sieg gegen die London Monarchs erzielte, was bei den 28.021 Zuschauer zu Hysterie, Übersprungshandlungen, Reizüberflutung, Massenschwof und Freudenwellen führte. „We are the best fans in the world!“ schüttete der Stadionsprecher, ein stadtbekannter Radiomoderator, unablässig Spiritus in die Flammen.

Vor zwei Jahren noch war die Stimmung in Frankfurt mindestens auf gleichem Niveau, doch die Skeptiker klopften sich gegenseitig auf die Schultern, als sie wenig später erfuhren, daß das Projekt WLAF fürs erste gescheitert sei und neu überdacht werden müsse. Zu aufwendig und teuer war die Idee, durch eine Liga mit zweitklassigen amerikanischen Spielern den national erschöpften Markt der National Football League (NFL) auszuweiten. Zwar wurden für Millionensummen Fanartikel verkauft und konnten sich bis dato übersehene Talente im sportlichen Bereich profilieren, doch von den zehn Mannschaften (sechs US- amerikanische, drei europäische, eine kanadische) schrieb nur die Frankfurt Galaxy schwarze Zahlen (Zuschauerschnitt 35.000) und verrieten die beiden anderen europäischen Locations (London, Barcelona) Perspektive. Auf dem amerikanischen Kontinent zeigten sich die Fernsehanstalten wegen der geringen Einschaltquoten schneller als erwartet mürrisch und die Zuschauer ob des zweifelhaften sportlichen Wertes von Anfang an desinteressiert. Hinzu kam, daß die NFL-Klubbesitzer just um diese Zeit ein Gerichtsverfahren gegen die Spielergewerkschaft verloren, daß ihren Verhandlungsspielraum bei Gehälterfestsetzungen erheblich beschnitt. Da wollte man nicht mehr ohne weiteres die Tochter WLAF mit unbeschränkten Geldgeschenken verhätscheln. Ein Einschnitt mußte her.

Die daraufhin überdachte Neustrukturierung hat zur Folge, daß sich in der diesjährigen WLAF nur noch sechs europäische Mannschaften stellvertretend für die Welt miteinander messen. Neben den bereits etablierten Frankfurt Galaxy, London Monarchs und Barcelona Dragons stoßen jetzt die Amsterdam Admirals, Scottish Claymores und das in Düsseldorf ansässige Rhein Fire hinzu. Dabei hat man bei den Verantwortlichen bewußt auf bestehende Rivalitäten (wie Deutschland – Holland, England – Schottland oder Frankfurt – Düsseldorf) gesetzt, um Spiele mit Derbycharakter herbeizuführen. Zudem sind die Reisekosten niedriger und die Spielergehälter – um durchschnittlich 15.000 Dollar für die von April bis Juni dauernde Spielzeit – sowieso im unteren Bereich. Finanziert wird das neue World-League-Modell über vier Jahre hinaus, wobei überlegt wird, ob in zwei Jahren in den vielversprechenden asiatischen Markt eingedrungen werden soll.

Auch am sportlichen Ruf der Liga hat man gearbeitet. Jedes Team wird mit talentierten Spielern aus der NFL bestückt. Jim Miller beispielsweise ist bei den Pittsburgh Steelers unter Vertrag. Letzte Saison rutschte er durch einen Daumenbruch früh ins dritte Glied und konnte sich dort nicht mehr auszeichnen. Die World League soll ihm helfen, die fehlende Spielpraxis wiederzuerlangen. Paul Justin ist von den Indianapolis Colts nach Frankfurt geschickt worden. In Düsseldorf spielt der Gewinner der Heisman Trophy (Auszeichnung für den besten College- Spieler) von 1992, Gino Torretta, der bei den Detroit Lions unter Vertrag ist. Besonders bei der Verteilung der Quarterbacks haben sich die Verantwortlichen Mühe gegeben: Sie sollen durch spektakuläres Paßspiel die Attraktivität der Liga steigern.

Doch nicht nur den amerikanischen Spielern wird in der World League eine Übungswiese zur Verfügung gestellt. Jedes Team muß auch sieben nationale Spieler in seinen Reihen haben, wovon mindestens vier an jedem Spieltag eingesetzt werden müssen. Diese Maßnahme soll dafür sorgen, daß der lokale Bezug erhalten bleibt. Der Spielverlauf in Frankfurt ermöglichte Galaxy-Coach, hall of fame-Mitglied Ernie Stautner, seine deutschen Spieler unter Wettkampfbedingungen zu testen. Neben der festen Größe in der Angriffsformation, dem Bonner Olaf Hampel, der es nach seinen ersten beiden Jahren in der World League immerhin zu einem Vertrag bei den Denver Broncos gebracht hat, konnte sich besonders Running Back Ingo Seibert vom deutschen Meister Munich Cowboys auszeichnen. Und von Frank Messmer, der letztes Jahr noch beim Regionalligisten Konstanz blaue Flecken verteilte, hält die lebende Football-Legende Stautner ob seiner körperlichen Möglichkeiten besonders viel: „Er ist eine große Mann!“ Das kann im Football schon die halbe Welt sein.

Ergebnisse: Frankfurt Galaxy - London Monarchs 45:22, Amsterdam Admirals - Barcelona Dragons 17:13