Aufstand an der Kasse im Supermarkt

Die Bewohner des Fürstenwalder Flüchtlingsheims „Haus Hoffnung“ protestieren gegen den Bezug von Sachleistungen an Stelle von Bargeld /Sie fühlen sich als Menschen zweiter Klasse  ■ Von Wolfgang Farkas

Die Menschen laufen mit dem Rücken zum Wind, der ihnen an diesem kalten Samstagmorgen immer wieder den Staub heftig in die Augen treibt. Der Weg zum einzigen Supermarkt, in dem die Fürstenwalder Flüchtlinge seit 1. April einkaufen dürfen, ist weit: Zweieinhalb Kilometer, die zu Fuß zurückzulegen sind. Busse gibt es nicht.

Der Weg führt vorbei am „Aldi“-Markt, wo die Menschen vom „Haus Hoffnung“ bisher eingekauft haben. „Aldi gut, Aldi billig“, sagt eine Kurdin, die mit ihren beiden Kindern unterwegs ist. Eine andere hat Tränen im Gesicht, schwer zu sagen, ob es an den sandigen Böen liegt oder an der Verzweiflung darüber, daß die Behörden auch noch den Kauf von Lebensmitteln reglementieren. Zwanzig Männer, Frauen und Kinder aus Äthopien und Zaire, aus Bangladesh und Pakistan, aus Rumänien und Vietnam biegen in einen Feldweg ein. Es sind nur noch wenige hundert Meter bis zu dem grauen Klotz, dem Einkaufszentrum „Famila“. Harro Quade, der Geschäftsführer, sagt, er habe nichts gegen Ausländer. „Ob schwarz, weiß, gelb oder grün – das sind Kunden wie alle anderen.“

Natürlich gebe es mit der Umstellung von Bargeld auf Sachleistungen einen erhöhten Aufwand: Jeder Asylbewerber bekommt ein Kontenblatt, entweder ein grünes Blatt für „Kaufland“ oder ein rosarotes für „Famila“.

In den Spalten wird die Einkaufssumme eingetragen. Spirituosen und Elektroartikel dürfen nicht verkauft werden. Anhand der Nummer auf dem Kontenblatt überprüfen die Kassiererinnen, ob der Asylbewerber einkaufsberechtigt ist. Vom bürokratischen Aufwand sind die Verkäuferinnen wenig begeistert. Eine Kassiererin von Famila: „So ein Schwachsinn. An der Kasse sind wir mit den Nerven am Ende und den Asylbewerbern nimmt es das letzte bißchen Freiheit.“ Geschäftsführer Quade verteidigt die neue Regelung auf seine Art: „Vielen Asylanten geht es doch nur darum, Geld in die Pfoten zu bekommen.“

Er ist einer der wenigen, die den Erlaß von Sozialministerin Regine Hildebrandt gutheißen. Für Bert Schumann, Geschäftsführer des Diakonischen Werks in Fürstenwalde und Hauptverantwortlicher für das „Haus Hoffnung“ ist die umstrittene Umstellung auf Sachleistungen – die die Fürstenwalder als letzte von 7.000 Flüchtlingen in Brandenburg trifft – schlicht menschenverachtend. Er kennt kein Argument, mit dem er diese Maßnahme den Heimbewohnern erklären könnte. Auf keinen Fall kann er akzeptieren, was er vom Pressesprecher des Sozialministeriums, Rupert Schröter, gehört hat: „Asylbewerber können mit Geld nicht umgehen.“

Die Flüchtlinge können und wollen schon gar nicht mit den Coupons umgehen. Die damit verbundenen „Sachleistungen“ betragen für den Haushaltsvorstand pro Monat maximal 310 Mark, für Kinder bis 7 Jahren 190 Mark und für Menschen ab Beginn des 19. Lebensjahres 275 Mark. Hinzu kommt ein Taschengeld, das, je nach Alter, zwischen 40 und 140 Mark liegt.

„Wie sollen wir damit den Rechtsanwalt bezahlen? Fahrgeld? Spielzeug für die Kinder?" fragt ein afrikanischer Mann. Vor allem, weil sie sich mit den Coupons als Menschen zweiter Klasse fühlen, verweigern die meisten Asylbewerber die Gutscheine. Einige haben in den letzten Tagen sogar gehungert.

An der Famila-Kasse kommt Unruhe auf. Einige vergleichen die Preise mit denen anderer Geschäfte. Kidney-Bohnen, doppelt so teuer. Glasnudeln, dreimal so teuer. Ein Blumenkohl: 3 Mark 99. Ein Glas Oliven: 4,99. Was die Menschen zusätzlich erregt: daß sie sich an einer gesonderten Kasse anstellen müssen.

Aufstand an Kasse neun. Babylonisches Stimmengewirr. „Wir können doch nichts dafür“, sagt die Kassiererin. „Zu teuer hier“, entgegnet ihr erbost eine verschleierte Frau, die für sechs Kinder einkauft und schleudert eine Plastiktüte mit Gemüse auf das Förderband.

„Mann muß trinken“, schreit einer, dem die Flasche Schnaps wieder weggenommen wird. Eine Frau weint fast, weil sie keinen Haartrockner kaufen darf. Die drei Kassiererinnen haben hochrote Gesichter. Sie werden mit der Arbeit nicht fertig, alle drängeln. „So geht das nicht“, ruft ein Mann vom privaten Wachschutz. Keiner hört auf ihn.

Jetzt bittet eine andere Asylbewerberin um kostenlose Plastiktüten – sie habe kein Geld. Dann müsse sie eben nochmal ihr Kundenkontoblatt abgeben. Die Frau rennt hinter die Kasse, schnappt sich eine Tüte, wird vom Wachmann festgehalten und reißt sich los. „Wir kommen wieder und werden Unterschriften sammeln“, sagt ein Asylbewerber in der Warteschlange ganz leise.

Schließlich kommt sogar noch die Polizei – aber nur als Plastikauto im Einkaufswagen eines asiatischen Flüchtlings.