„Nur ein Gegenmodell: Rot-Grün“

■ Interview mit dem SPD-Bundesvorstandsmitglied Heidi Wieczorek-Zeul über die Perspektiven rot-grüner Zusammenarbeit

taz: Wenn die SPD die Regierung Kohl in knapp vier Jahren ablösen will, gibt es dann eine Alternative zu Rot-Grün?

Wieczorek-Zeul: Diese Regierung ist faktisch gelähmt. In wichtigen Fragen, wie zum Beispiel bei der Energiesteuer, gibt es keine gemeinsame Regierungsposition, und das schwarze Buhlen um die Grünen ist ja nicht zuletzt damit zu erklären, daß die Union die FDP schon abgeschrieben hat und nach einer Nachfolgerin sucht. In dieser Situation ist das Gebot der Stunde die Ablösung dieser Regierung. Natürlich sind mir absolute SPD- Mehrheiten lieber, und in Ländern wie Nordrhein-Westfalen sind sie ja auch realistisch. Aber in vielen Ländern, den ostdeutschen, in Hessen und Baden-Württemberg, ist das unrealistisch. Das gleiche gilt für Bonn: Auf Bundesebene sehe ich Rot-Grün als das Gegenmodell zu dieser Regierung.

In der SPD sieht man das bisweilen anders. Der SPD-Bundesgeschäftsführer Verheugen sagte kürzlich, ein klares Ja zu Rot- Grün hätte den Machtwechsel zwar greifbar gemacht, aber die SPD hätte dann Wählerstimmen an die Grünen verloren. Will die SPD lieber nicht regieren als mit den Grünen?

Daß das nicht die Alternative ist, ergibt sich aus dem, was ich über den Zustand der jetzigen Regierung gesagt habe. Die klare Machtperspektive muß deutlich werden; die SPD darf in einer Koalition mit den Grünen aber nicht verlieren. Beide Partnerinnen müssen gewinnen. In Hessen etwa können wir feststellen, daß sozialdemokratisches Profil in der letzten Legislaturperiode nicht genügend deutlich geworden ist. Wir müssen unser Programm viel sichtbarer vertreten: Unsere Auffassungen zum Zusammenhang von Demokratie und Medienentwicklung, zu einer Außenpolitik, die zukünftige Kriegsursachen heute verhindern hilft. Wir wollen mehr Verteilungsgerechtigkeit, auch Umverteilung zugunsten von Frauen. Da müssen wir uns auch mit den Grünen auseinandersetzen. Die stecken zur Zeit in einem rasanten Veränderungsprozeß. Bei den Koalitionsverhandlungen in Hessen hat sich gezeigt, daß sie inzwischen nicht nur im FDP-Maßstab auf Posten und Positionen aus sind, sondern auch Klientelpolitik, zum Beispiel für Gymnasiallehrer, betreiben. Und sie sind, was Zukunftstechnologien angeht, oft beharrend bis konservativ und mußten sich von Umweltorganisationen zudem vorwerfen lassen, daß sie ökologische Positionen geräumt haben. Einige Grüne, Rezzo Schlauch zum Beispiel, reden heute schon lieber mit der CDU als mit der SPD.

Ist die SPD daran nicht selbst schuld?

Ich selbst habe mich, auch nach dem Ende der ersten rotgrünen Koalition in Hessen 1987, immer dafür eingesetzt, daß Rot-Grün wieder ins Spiel kam. Aber man kann doch bei aller Zusammenarbeit deutlich machen, daß es sich um zwei unterschiedliche Parteien handelt, die in der Frage im Wettstreit liegen, wie unter dramatisch veränderten Bedingungen eine soziale und ökologische Reformpolitik gemacht werden kann. In diesem Wettstreit könnte sich herausstellen, daß die SPD die zukunftsorientiertere Partei ist, daß wir außerdem die ganze Bandbreite der Politik anbieten können. Die CDU – ich will mich ausnahmsweise einmal militärisch ausdrücken – lebt nach dem Motto „Getrennt marschieren, vereint schlagen“ bestens davon, daß sie alle im Spektrum von Süßmuth und Geißler bis Schäuble auftreten läßt. Die SPD sollte ihr eigenes Spektrum nicht einengen, sondern politisch nutzen. Und wer weiß, ob nicht aus einem Wettstreit mit den Grünen eine völlig neue Positionierung im Parteienspektrum hervorgeht.

Warum sollte die SPD Kräfte im Wettstreit mit den Grünen verschleißen? Die regierende Koalition hat das längst aufgegeben und regiert. Was würden einer SPD-geführten Bundesregierung ein paar Prozentpunkte mehr für die grüne Partnerin schaden?

Ich bin überzeugt: Rot-Grün hat dauerhaft keine Zukunft, wenn die SPD dabei verliert.

Im Vorfeld der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen soll in der SPD die Parole ausgegeben worden sein: Kein Wort über Rot- Grün, das gefährdet die absolute Mehrheit von Johannes Rau. Gefährden Sie Rau?

Ich bin fest überzeugt, daß die Überzeugungskraft von Johannes Rau und das Profil der Landes- SPD eine neue SPD-Mehrheit im Düsseldorfer Landtag bringen werden. Mein Anliegen ist, Lehren aus der hessischen Landtagswahl für die Zukunft zu ziehen. Interview: Andrea Dernbach