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Rockiges Liedgut zum Mitpfeifen

■ Treffen der Generationen im Wehrschloß: Moe Tucker und Mind Kiosk

Die Hildesheimer „Mind Kiosk“ hätten altersmäßig locker die vielköpfge Kinderschar der rüstigen Ex- Velvent Underground Trommlerin Moe Tucker sein können, für die sie am Sonntag die Vorgruppe gab. Musikalisch hatten sie jedoch nicht viel mit einseitigem Epigonentum am Hut und präsentierten sich als eine Spezies, die man in letzter Zeit schon vom Aussterben bedroht gesehen hatte: Eine gute Wehrschloß-Vorgruppe. Ihr mitreissender Misch-Pop wurde von Gitarren und Orgel getragen. Angereichert wurden die hübschen Melodien mit heftigen 6Oer- Trash-Anleihen, verhaltenen Ska-Rhythmen und einem Schuß internationaler Härte, wo es nötig war.

Aber vor allem wußten sie, wie man Songs schreibt, die sich auf Anhieb voneinander unterscheiden lassen. Zwischendurch erzählten sie kleine Unsinnigkeiten ( „Hildesheim hat eine ähnliche kulturelle Szene wie Chicago und ist ungefähr genau so groß“ ) und lieferten alles in allem einen Auftritt, der so perfekt und bisweilen schön war, daß man sich die Jungs schon mit Major Plattenvertrag in der Tasche und Romantik-Poster in der „Bravo Girl“ vorstellen konnte. So richtig gefallen muß einem diese Vorstellung freilich nicht.

Zu den grübeligen Solo-Alben ihrer ehemaligen Band-Kollegen Lou Reed und Joln Cale, die zumeist zwischen Genie und Schwachsinn herum taumeln, bildeten Moe Tuckers unkomplizierte und charmante musikalischen Alleingänge stets einen sympathischen Gegenpol.

So auch hier. Im Wehrschloß wirkte sie am Sonntag zunächst ein wenig pikiert, weil kaum jemand sie bemerkt hatte, als die kleine 53jährige, die keinen Tag jünger aussieht, mit ihrer großen Gitarre und dreiköpfiger Band die Bühne betrat. Sie mußte schon „good evening“ sagen und verkünden, daß sie gleich Musik mache, um ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber dann hatte sie das Publikum schnell ganz auf ihrer Seite.

Ihre Spezialität war gut gelaunter Rock mit einfachen Melodien, wie man sie gerne auf dem Weg zur Arbeit oder unter der Dusche pfeift. Meistens machte sich die Band nicht die Mühe, mehr als drei Ackorde pro Song auszuprobieren, aber gerade das machte ja den frischen, minimalistisch- verspielten Charme aus.

Nur gelegentlich griff man auf Country-Gitarren oder südländische Rhythmen zurück. Spaßige Krach-Breitseiten kamen meist so unvermittelt wie die wenigen aber wirkungsvollen Tempiwechsel und dauerten nie so lange, daß sie wirklich zu Geduldsproben wurden. Endlose Psyche-delic-Ausschreitungen wie einst bei „Velvet Underground“ fehlten völlig.

Als Fan mochte man es insgeheim schade finden, daß Tucker keine Songs aus ihrer legendären Vergangenheit spielte, aber selbstverständlich war das nur lobens- wert konsequent.

Ein wenig stimmungstötend war allerdings die Tatsache, daß Tucker und Band keine zwei Songs hintereinander spielen konnten, ohne enervierend langes Soundcheck-Geplänkel zwischenzuschieben. Dabei hatte ihr Sound nur einen wirklichen Schwachpunkt: Moe Tuckers niedliche Stimme, die auf Platte immer ein bißchen klingt, als wolle sie ihre Kinder in den Schlaf singen, kam oft nicht gegen die beißenden Gitarren an.

Andreas Neuenkirchen

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