Nachschlag

■ Ein halber Sieg: „Das Nest“ von Kroetz im Berliner Ensemble

Stumm spielt die Blasmusi von der Diawand. Wenn die Zuschauer sitzen, wird's dann wirklich zünftig. Im Stampfschritt plattelt ein Paar zu Bierzeltklängen. Das Bayernklischee entpuppt sich jedoch als Fernsehbild: Hinter einem großen Holzrahmen hat es gespielt, der jetzt heruntergeklappt wird und ein Wohnzimmer andeutet. Die Tanzenden aus der Glotze mutieren zum bajuwarischen Proletenpaar. Ein Dritter, der zugeschaut hat, wird zu einer Mischung aus Spielleiter und Kommentator. Später gibt er auch noch das Baby. Dessen bevorstehende Geburt, von den Eltern zwischen konsumfreudiger Erwartung und Geldsorgen zelebriert, macht die Hälfte der Handlung aus.

Schon in den ersten fünf Minuten wird klar: Sozialen Realismus, wie ihn Franz Xaver Kroetz für sein frühes Zweipersonenstück (1975) vorsieht, will Regisseur Nino Sandow nicht. Also wird kräftig gebrochen, stilisiert, reduziert. Das hängende Holzgeviert dient – mal senkrecht, mal horizontal – je nach Bedarf als Küchentisch, Schrebergarten oder Schlafzimmer. Darin erwarten Hans Fleischmann und Veronika Nickl als Biederleut' ihren Stammhalter (Christoph Müller), meist sitzend oder stehend. Die SchauspielerInnen manövrieren sich dabei an jener schwierigen Grenzlinie durch ihre Figuren, die Identifikation verhindert, ihnen aber dennoch Leben einhaucht. Regieneuling Sandow, der BE-Schauspieler mit Off-Erfahrung (beim Ikaron-Theater), treibt dem Volkstheaterdichter Kroetz das Fleisch aus. Zum Holzschnitt erstarrt, wird das proletarische Familienidyll jedoch eher denunziert als durchleuchtet. Erst wenn sich – nach einer geschlagenen Stunde – die Beschreibung des Kleinbürgeralltags in ein Umweltpsychodrama verwandelt, passiert es: Plötzlich stimmt die Lakonie. Wenn Kurti, der Lastwagenfahrer, sich blauäugig naiv zum Komplizen seines Chefs gemacht und Gift in einen See gekippt hat, wenn Mutter und Kleinkind darin gebadet haben und der Mann, von Schuldgefühlen geplagt, vom Ausführenden zum Handelnden wird, kippt die bemühte Kunstanstrengung zur beklemmenden Befindlichkeitsstudie. Da führt der Aufwand an unterkühltem Spiel immerhin zu einem halben Sieg mit einem selten gespielten Stück, das nicht zu Kroetzens besten zählt. Gerd Hartmann

Wieder am 14., 22., 24. 4., 20 Uhr, BE, Brecht-Platz, Mitte