Plötzlich ist Geld da – und keiner weiß wohin damit

■ Spanien erhöhte auf Druck der NGOs Entwicklungshilfe, nun mangelt's an Projekten

Eine bunte Bewegung hat Spaniens Regierung in die Pflicht genommen. „0,7 Prozent jetzt“, so lautete ihr Motto, 0,7 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts sollte Spanien nach den Vorstellungen der Dritte-Welt-Solidaritätskämpfer für die Entwicklungshilfe bereitstellen. Zwar wurde in der Übereinkunft mit der Regierung die von der UNO empfohlene magische Ziffer nicht erreicht. Aber immerhin, mit 0,5 Prozent liegt Spanien noch vor Deutschland.

Die Übereinkunft mit der sozialistischen Regierung sieht 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Festbetrag vor, der auf 0,5 Prozent aufgestockt werden kann. Bedingung dafür sind konkrete Projektvorgaben durch regierungsunabhängige Organisationen (NGOs). Ein Ausschuß, in den verschiedene gesellschaftliche Kräfte eingebunden sind, soll die Geldvergabe überwachen. So steht es auf dem Papier, so kam es auch durchs Parlament. An der Umsetzung allerdings hapert es. Außenminister Javier Solana scheint es nicht eilig zu haben. Aus verständlich Gründen, soll er doch die Entscheidungsgewalt über die Verwendung der umgerechnet vier Milliarden Mark Entwicklungshilfe abgeben.

Solana fürchtet einen radikalen Umschwung, wenn die NGOs mitentscheiden. Eine aktuelle Studie zeigt, daß Spanien zwischen 1980 und 1990 rund 7,5 Milliarden Mark sogenannter Entwicklungshilfe direkt als Rüstungskredite vergab – ein Viertel der Gesamtsumme. Der Zweck dieser Kredite mit langer Laufzeit und niedrigen Zinsen, so die offizielle Begründung, sei die Unterstützung der wenig industrialisierten Länder. Wie in allen Ländern übliches Geschäftsgebaren, darf aber nur im Geberland gekauft werden. Daß damit letztlich die eigene Rüstungsindustrie gemeint ist, erstaunt nicht weiter: Spanien belegt, was Rüstungsgeschäfte angeht, mit zehn Mrd. Mark Verkaufsvolumen Rang 13.

Auch die übrige Geldvergabe wird von den NGOs in Frage gestellt. Hauptbezugsland ist neben Mexico die Volksrepublik China – ein Land, mit dem Spanien kulturell rein gar nichts verbindet. Einziges Ziel dieser Politik sei doch der Ausbau der Handelsbeziehungen. Angesichts der prekären Menschenrechtslage betrachten die NGOs die Zusammenarbeit mit Peking höchst kritisch.

Sollte der Vergabeausschuß nicht bald einberufen werden, geht die Bewegung wieder auf die Straße. Daß das keine leere Drohung ist, hat sie unter Beweis gestellt: Als im September vergangenen Jahres ein versprengtes Häuflein eine Nacht vor dem Wirtschaftsministerium in Madrid verbrachte, hatte man nicht im Traum mit einen Erfolg gerechnet. Doch dann kamen in den folgenden zwei Monaten insgesamt 8.000 Menschen, 1.500 Zelte wurden aufgestellt. In 29 anderen Städten tat man es ihnen nach. Den endgültigen Durchbruch, die Abstimmung im Parlament, brachte dann ein Hungerstreik von zwei Sprechern der Bewegung in Madrid.

Bis runter auf die Gemeindeebene soll die 0,7-Prozent-Forderung durchgesetzt werden. Einen Schwachpunkt jedoch hat die Kampagne: Plötzlich sei Geld da, es würden aber nicht genügend Projekte eingereicht, so mußte eine Koordinatorin eingestehen. Reiner Wandler, Madrid