Der Schlüssel zum Osten

Im AKW Mochovce wollen Frankreichs Atomindustrie und die Osteuropabank das atomare Erbe der Sowjetunion antreten  ■ Aus Wien Piotr Dobrowolski

Mochovce ist kein Ort zum Leben. Zumindest seit 1980 nicht, seit in dem kleinen slowakischen Dorf das Atomzeitalter anbrach oder, genauer gesagt: von oben verordnet wurde. Und das nicht gerade mit feinen Mitteln. Damit sie den Bau des mit Sowjethilfe geplanten AKWs Mochovce nicht behindern, wurden alle 448 Dorfbewohner kurzerhand in das zehn Kilometer entfernte Levice umgesiedelt. Ein Hauch von Ceaușescus Dörferzerstörung wehte durch die damals noch kommunistische Slowakei. Was folgte, war typisch für nahezu jedes realsozialistische Großprojekt: Geldnöte, Terminprobleme, technische Schwierigkeiten und natürlich auch Arbeiter von nur mäßiger Arbeitslust.

Nach der samtenen Revolution in der damaligen Tschechoslowakei zogen die russischen Ingenieure und Berater Anfang der neunziger Jahre ab. Das halbfertige AKW konnten sie freilich nicht mitnehmen. Wozu sollten sie es übrigens auch tun: Es war schon damals hoffnungslos veraltet.

Nun soll Mochovce unter Beteiligung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), auch Osteuropabank genannt, fertiggestellt und auf westlichen Standard gebracht werden. Das gesamte Unterfangen wird umgerechnet 1,3 Milliarden Mark kosten, der von der Bank vorgesehene Kreditrahmen beträgt etwa 415 Millionen. Offiziell wird das Engagement der EBWE mit hehren Zielen gerechtfertigt: Ein zeitgemäßer Umbau von Mochovce, so meint man, könnte eine teilweise Abschaltung des – ebenfalls in der Slowakei gelegenen – Uralt- AKWs Bohunice ermöglichen.

Der gute Plan klingt besser, als er ist. Als internationale Experten das AKW Mochovce in Augenschein nahmen, traten Mängel zutage, die selbst hemmungslosen AKW-Fans den Angstschweiß auf die Stirn treiben dürften. Ein ganz spezielles Highlight aus dem Gruselkatalog der Expertengruppe: die Absicherung des Reaktors durch ein neuartiges Durckausgleichssystem, von dem niemand weiß, ob es im Notfall überhaupt funktioniert.

Praktische Erfahrungen fehlen jedenfalls gänzlich. Und doch ist Mochovce zu diesem System verdammt – ein nachträglicher Umbau läßt sich technisch nicht mehr bewerkstelligen. Übrigens ebensowenig wie Änderungen der ungünstigen, von Fachleuten kritisierten Anordnung der Kraftwerksturbinen.

Die Mochovce-Sanierer, das sind die slowakische Verbundsgesellschaft SEP und die mit ihr kooperierende Electricité de France (EdF), nehmen an derlei Kleinigkeiten keinen besonderen Anstoß. Während Kritiker dem Kraftwerk bestenfalls den Standard der sechziger Jahre attestieren, gibt sich Claire Girard, Projektmanagerin bei der EdF, locker: „Vergleichen Sie das mit einem Mercedes aus den siebziger Jahren, niemand würde so ein Auto heute bauen, aber es ist robust genug, um damit 200 zu fahren.“

Die Metapher der sonst nicht gerade lyrischen EdF-Sprecherin läßt es bereits erahnen: Für ihr Unternehmen, den größten westlichen AKW-Betreiber, ist Mochovce weit mehr als ein Projekt unter vielen. Wird die Fertigstellung des Kraftwerks von der Osteuropabank mit finanziert, wäre damit für die hochverschuldete EdF ein entscheidender Wendepunkt in ihrem Überlebenskampf erreicht. Die sehnsüchtig erwartete Möglichkeit, EU-Förderung für die Errichtung von AKWs in Osteuropa zu kassieren, käme für die Franzosen in Griffnähe. Über kurz oder lang würde auch die Konkurrenz folgen. Denn im Westen entwickelt sich Reaktortechnik immer mehr zum Ladenhüter. Seit 1982 wurde kein einziger Reaktor westdeutscher Produktion verkauft, die USA haben gar seit 1974 keinen Erfolg in dieser Sparte erzielt. Entwicklungsbanken haben sich bislang geweigert, Atomprojekte zu finanzieren. Die Kreditvergabe für Mochovce haben die EBWE-Bankiers daher an zwei Hauptbedingungen geknüpft. Punkt eins: Der Umbau von Mochovce muß bei Einhaltung westlicher Standards billiger kommen als ein atomfreies Alternativkonzept. Punkt zwei: Die Betroffenen, also die Slowaken selbst sowie die Nachbarstaaten, müssen befragt werden.

Punkt eins erledigte die EdF mit branchenüblichen Mitteln. Ein Gutachten wurde so lange manipuliert, bis das AKW mit 1,3 Milliarden Mark Umbaukosten um mickrige fünf Prozent günstiger war als die Gasvariante. Große Hoffnungen dürfen bei diesen Investitionen allerdings nicht in die Sicherheit von Mochovce gesetzt werden. Wolfgang Kromp, Universitätsdozent für Festkörperphysik und einer der Hauptkritiker von Mochovce, meint dazu: „Die Anpassung von Mochovce an westliche Sicherheitsstandards wäre gleich teuer wie beim deutschen AKW Greifswald. Dort wurden pro Reaktor zwei Milliarden Mark gerechnet.“ Mal zwei genommen, soviel Reaktoren hat Mochovce, ergibt sich die stolze Summe von vier Milliarden – das Dreifache des offiziell angegebenen Betrags.

Punkt zwei, die Befragung der Betroffenen, fiel unterschiedlich aus. In der Slowakei selbst bedienten sich die Mochovce-Betreiber eines alten Tricks. Das öffentliche Hearing in Bratislava wurde in einem Saal mit gerade 200 Plätzen veranstaltet, die Teilnehmer wurden im voraus ausgesucht und per Bus an den Schlachtort geliefert. Alles klappte nach Wunsch, Mochovce bekam seine Legitimation.

Die Nachbarländer Ukraine, Tschechien und Ungarn konnten der französisch-slowakischen Lobby ohnehin nicht gut ins Handwerk pfuschen: Sie sind selbst in hohem Maße von Atomstrom aus maroden AKWs abhängig. Der nördliche Nachbar Polen ist zwar atomkraftfrei, das Interesse an Mochovce hält sich aber auch dort in engen Grenzen. Die polnische Stellungnahme fiel daher derart kurz aus, daß sie per Fax übermittelt werden konnte: „Wünschen über Ihr weiteres Vorgehen informiert zu werden.“

Womit am Schauplatz des Geschehens als Gegner einzig und allein Österreich übrigblieb. Und in der Person der Umweltministerin Rauch-Kallat kräftig protestierte – vor allem als man auch den Österreichern ein Hearing mit 200 ausgewählten Gästen anbot. Da übten sich selbst hohe Beamte in Basisdemokratie. Sektionschef Unterpertinger vom Umweltministerium forderte gar blauäugig: „Bei der Anhörung soll jeder seinen Protest vorbringen können. Wenn ein Kind ein Lied singen will, soll auch das möglich sein.“ Letztlich ließen die Mochovce-Betreiber das Hearing platzen. Aus Angst vor singenden Kindern?

Österreichs Umweltgruppen, insbesondere Global 2000 und Greenpeace, können dem medienträchtigen Anti-Mochovce-Spektakel der Politiker nicht übermäßig viel abgewinnen. Sie verweisen darauf, daß die Ablehnung des Kraftwerks durch die Bundesregierung wohl richtig in der Sache, aber nicht gerade glaubwürdig ist. Während nämlich Bundeskanzler Vranitzky und Umweltministerin Rauch-Kallat gegen Mochovce Sturm laufen, baut Wirtschaftsminister Schüssel mit seinem Ressort fleißig an seiner 380-Kilowatt- Stromleitung zwischen Ostösterreich und der Slowakei. Ihr vermutlicher Zweck: Transport von Atomstrom.