„Das ist in meinen Augen nicht zumutbar“

■ Jochen Meurers vom Verein „Lobby für Wohnsitzlose“ zur Sozialhilfereform

Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) ist mit seinen Vorschlägen zu einer Sozialhilfereform in die Kritik geraten. Vor allem die Verpflichtung zur Aufnahme einer „zumutbaren“ Arbeit kritisiert Jochen Meurers im Gespräch mit der taz.

taz: Herr Meurers, gibt es irgendwas, das Sie gut finden an Seehofers Sozialhilfereform?

Jochen Meurers:Es gibt einen Teil, das ist die Frage der Verhinderung von Obdachlosigkeit. Seehofer hat dahingehend Einsehen, daß er sagt, wir müssen Räumungsklagen dadurch verhindern, daß Sozialämter Mietrückstände übernehmen.

Und was ist der schlimmste Teil der Seehofer-Pläne?

Der entscheidende Punkt ist die Frage der Aufnahme zumutbarer Arbeit. Das ist eine schwerwiegende Veränderung des bisherigen Sozialhilferechts. Bisher können SozialhilfeempfängerInnen schon zur Aufnahme von gemeinnützigen Tätigkeiten gebracht werden, aber da muß es für den einzelnen einen Arbeitsplan geben. Es muß ein Grund genannt werden, warum er oder sie in dem Bereich gemeinnützige Arbeit leisten soll. Es gibt die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung beim Sozialgericht Einspruch einlegen zu können. Nach Seehofers Vorschlag wird nun eine generelle Lösung eingeführt.

Nach dem Entwurf sollen die Regelsätze bei Verweigerung um 25 Prozent gekürzt werden.

Die Sachbearbeiter können jetzt gar nicht mehr anders. Die Formulierung ist eindeutig: „Durch eine verbindliche, vorgegebene Rechtsfolge werden die Sozialämter von schwierigen verwaltungsintensiven Ermessensentscheidungen im Einzelfall entlastet.“ Da tritt also eine Automatik ein.

Was viele Leute, denen die SozialhilfeempfängerInnen ein Dorn im Auge sind, gar nicht so schlimm finden.

Die gemeinnützige Arbeit, wie sie zur Zeit existiert, kann doch gar nicht ernsthafterweise als eine Prüfung angesehen werden, ob jemand arbeitswillig ist. Niemand, der für zwei Mark das Angebot bekommt, die Straße zu kehren, wird doch darüber erfreut sein. Es ist sogar so, daß die Kommunen selbst die Ausweitung der gemeinnützigen Tätigkeiten durchgerechnet haben und festgestellt haben, daß der Verwaltungsaufwand dafür so hoch ist, daß die Ersparnis, etwa an Arbeitsplätzen in der Stadtreinigung, gar nicht lohnt. Insofern sind die gemeinnützigen Arbeiten vor allem ein Instrumentarium der Disziplinierung.

Es gibt Umfragen, nach denen SozialhilfeempfängerInnen immer mal wieder solche Tätigkeiten ablehnen.

Man muß sich doch mal fragen, was sind denn das für gemeinnützige Tätigkeiten, die ich da angeboten bekomme? Ist es zumutbar, nur weil jemand Sozialhilfeempfänger geworden ist, plötzlich zu sagen: Du hast gefälligst am nächsten Tag die Toiletten im Stadtbad Mitte zu reinigen? Das ist in meinen Augen nicht zumutbar.

In der Öffentlichkeit und selbst in der politischen Opposition wird aber derzeit gar nicht mehr über die „Zumutbarkeit“ von Arbeit diskutiert.

Das ist richtig. Der Seehofer- Reform vorausgegangen ist ja eine lange Mißbrauchsdebatte zum Thema Sozialhilfe, die offensichtlich dahingehend gewirkt hat, daß in der Öffentlichkeit jetzt jeder Sozialhilfeempfänger als potentieller Betrüger angesehen wird. Deswegen wird es ganz leicht möglich, das Wort zumutbare Arbeit hier einzuführen, ohne daß überhaupt in einem Nebensatz definiert wird, was man in einem solchen Reformvorschlag eigentlich erwarten könnte, was Zumutbarkeit eigentlich ist.

Ein Lohnabstand von 15 Prozent zu den unteren Einkommensgruppen soll festgeschrieben werden. Was hat das für Folgen?

Fakt ist, daß das Lohnabstandsgebot im Moment eingehalten wird und sich insofern die Frage stellt, warum Seehofer jetzt damit kommt. Mir scheint die Gefahr darin zu bestehen, daß sich die unteren Lohngruppen künftig nach unten bewegen. Und dann würde ja automatisch auch die Sozialhilfe absinken. Die Gefahr des Lohnabstandsgebots liegt also in der Zukunft, nicht in der jetzigen Situation. Daß die Reform jetzt kommt, weist überhaupt darauf hin, daß Seehofer genau weiß, daß die Armutsentwicklung in der Bundesrepublik noch gar nicht auf ihrem Höhepunkt angelangt ist. Interview: Barbara Dribbusch