Haase läßt Raser auf Kinder und Schüler los

■ Verkehrssenator läßt Tempo-30-Schilder vor Schulen und Kitas abschrauben / Sogar CDU wehrt sich gegen „Säuberung“

Schüler und Kinder müssen im Straßenverkehr jetzt noch mehr aufpassen. Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) läßt derzeit vor Schulen und Kitas Tempo-30- Schilder abbauen. Sie werden ersetzt durch Ampeln und sogenannte „Schutzgitter“. Nach Auskunft von Haases Sprecher Tomas Spahn böten die Ampeln und Gitter den Kindern mehr Schutz als die Tempo-30-Zeichen. Spahn dementierte zwar, daß die Geschwindigkeitsbegrenzung „systematisch“ vor Schulen und Kitas aufgehoben würde, bestätigte aber, daß an Durchgangsstraßen Stück für Stück die Verkehrsberuhigung durch Ampeln ersetzt werde.

Der neueste Fall hat nun allerdings für schlechte Stimmung in der Koalition gesorgt. Haase hatte an drei Straßen in Neukölln mit Schulen und Kindertagesstätten Tempo-30-Schilder abbauen lassen. Der familienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Karlheinz Nolte, warf dem Verkehrssenator gestern vor, „wieder einmal kein Gespür für die Interessen der Berliner Familien“ zu haben. In Tempo-30-Zonen müßten die Autofahrer stärker auf Kinder aufpassen. Straßen, in denen Tempo 50 gefahren werden darf, würden für Kinder auch mit Ampeln kaum sicherer. Denn hier entlastet der Senator die Autofahrer von ihrer Verantwortung, vorausschauend zu fahren, und überträgt diese den ganz jungen Verkehrsteilnehmern. „Kinder stürzen aus Schulen und passen nicht immer auf“, sagte die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Käthe Zillbach: „Für die CDU ist der Verkehrsfluß wichtiger als die Sicherheit der Kinder.“ Zillbach will eine kleine Anfrage in das Parlament einbringen, um klare Auskunft darüber zu erhalten, vor wieviel Schulen und Kitas der Senator Tempo 30 aufgehoben hat und aufheben wird.

Haases neuester Bleifuß-Coup stieß gestern selbst in seiner eigenen Partei auf Unmut. Der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Rainer Giesel, hielt es für problematisch, „wenn mit einer Harke durch Berlin gegangen wird“. Im Einzelfall könnten Ampeln ausreichen, doch eine „generelle Säuberung“ der Tempo-30- Zonen lehnte der CDU-Mann ab.

Auch die Bündnisgrünen üben Kritik. Von den 52 Tempo-30-Zonen, die der rot-grüne Senat eingerichtet hat, habe die Große Koalition aus CDU und SPD 30 Zonen wieder abgeschafft, sagte der verkehrspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Michael Cramer. Er griff aber auch die SPD an. Es zeige sich, daß die Sozialdemokraten in der Koalition andauernd umkippten.

Besonders die Baustadträte sind auf den Senator für Verkehr sauer. Zu ihnen zählt der Charlottenburger Stadtrat Claus Dyckhoff, in dessen Bezirk ein halbes Dutzend Tempo-30-Zonen aufgehoben worden ist.

In der Vergangenheit hatte Verkehrssenator Haase die 30 verkehrsberuhigten Zonen größtenteils gegen den Willen der Bezirke aufgehoben. Untersuchungen haben gezeigt, daß eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer die Unfallzahlen stark senkt und Todesfälle so gut wie gar nicht mehr vorkommen. Im letzten Jahr starben in Berlin 14 Kinder vor allem auf Hauptstraßen an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Rafael Pilsczek