Hat der Atomwaffensperrvertrag noch eine Zukunft?

■ Nord-Süd-Konflikte stellen die Verlängerung in Frage

Wem nützt das „Abkommen zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen“ (Non-Proliferation Treaty, NPT) aus dem Jahre 1970? Unter den inzwischen 176 Unterzeichnerstaaten wird diese Frage heute so unterschiedlich beantwortet wie vor 25 Jahren. Ab Ostermontag treffen sich Vertreter dieser Staaten in New York, um auf einer vierwöchigen Überprüfungskonferenz über die Verlängerung des Vertrages zu verhandeln.

Der Vertrag habe die Weiterverbreitung atomarer Waffen verhindert und damit einen wesentlichen Beitrag zur internationalen Stabilität geleistet, argumentieren die durch den Vertrag offiziell anerkannten fünf Atomwaffenstaaten. Die USA, Großbritannien, Frankreich und Rußland fordern deshalb seine unbefristete und bedingungslose Verlängerung. China neigt ebenfalls dieser Variante zu, hat sich aber noch nicht offiziell darauf festgelegt. Bei informellen Umfragen unter den 176 NPT-Unterzeichnern schlossen sich in den letzten Wochen statt der erforderlichen absoluten Mehrheit von 89 allerdings nur 75 Länder der Position der Atommächte an – darunter alle Mitglieder von EU und Nato, die osteuropäischen Länder, Japan, Australien und Neuseeland sowie die meisten lateinamerikanischen Ländern, jedoch nur eine Minderheit der Staaten Afrikas und Asiens.

Nach Ansicht der meisten Regierungen des Südens hat der Vertrag in den letzten 25 Jahren vor allem das Privileg der fünf offiziell anerkannten Atomwaffenmächte stabilisiert, ohne daß diese ihrer Verpflichtung zu vollständiger atomarer Abrüstung entsprechend Artikel 6 nachgekommen wären. Tatsächlich hatte sich die Zahl der Sprengköpfe und Trägersysteme seit 1970 vor allem durch die atomare Rüstung der USA und der Ex-Sowjetunion zunächst einmal mehr als vervierfacht. Ab Ende der achtziger Jahre begann dann infolge diverser bilateraler Verträge zwischen Washington und Moskau die Reduzierung der Bestände.

Dies geht allerdings bis heute einher mit der „Modernisierung“ der verbleibenden Arsenale. Atomwaffen sind weiterhin wichtiger Bestandteil der Militärdoktrinen der fünf Atommächte sowie der Nato. Außer China beharren alle offiziellen Atomwaffenmächte auch fünf Jahre nach Ende des Kalten Krieges weiterhin auf dem „Recht“ zum Ersteinsatz von Atomwaffen. Und was immer mehr Regierungen im Süden besonders beunruhigt: In den USA sowie noch in geringerem Maße auch in Großbritannien, Frankreich und Rußland laufen Strategieplanungen und technologische Entwicklungen zunehmend in Richtung der „Counterproliferation“ mit militärischen Mitteln, inklusive der Drohung mit und des Einsatzes von Mini-Atomwaffen. Die offiziellen Atomwaffenmächte müssen sich auch vorwerfen lassen, sie hätten das Versprechen des uneingeschränkten Transfers ziviler Atomtechnologien an alle Unterzeichnerstaaten (Artikel 4) nicht voll erfüllt.

Wie viele inoffizielle Atommächte gibt es?

Aus diesen Gründen sind die meisten Länder des Südens nur zu einer rotierenden Verlängerung des Vertrags um Zeitperioden von 5 bis 25 Jahren bereit. Zwischen diesen Perioden sollen jeweils neue Überprüfungskonferenzen stattfinden – mit der Möglichkeit der endgültigen Kündigung des Vertrags durch die absolute Mehrheit der Unterzeichnerstaaten. Auf diese Weise soll der Druck auf die offiziellen Atomwaffenmächte, ihrer Abrüstungsverpflichtung nachzukommen, aufrechterhalten werden.

Etwa ein Dutzend Staaten will den Vertrag sogar nur um eine kurze Zeitspanne verlängern und dann auslaufen lassen. Zu dieser Gruppe gehört Iran. Vor allem die Clinton-Administration in Washington verdächtigt das Regime in Teheran, unter Verletzung des Vertrags heimlich die „islamische Bombe“ zu entwickeln. Der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien, die für die Überwachung der Einhaltung des Vertrags zuständig ist, liegen hierfür allerdings bislang keine konkreten Beweise vor. Anders als die Clinton-Administration hat die IAEO bisher auch keinen Einspruch erhoben gegen die geplante Lieferung russischer Nuklearanlagen an Iran. Der zweite Unterzeichnerstaat unter Verdacht eigener Atomwaffenambitionen ist Nordkorea. Auch hier fehlen die endgültigen Beweise. Allerdings verweigert die Regierung in Pjöngjang die volle Kontrolle ihrer Atomanlagen durch die IAEO und verletzt damit Vertragsbestimmungen.

Mit einer unbefristeten und bedingungslosen Verlängerung des Vertrags wollen die Befürworter dieser Option auch den Druck auf Indien und Pakistan erhöhen, dem Vertrag beizutreten. Indien, das einen registrierten Atomwaffentest unternommen hat, begründet seine bisherige Abstinenz damit, der Vertrag sei „diskriminierend“ für den Süden. Pakistan, ebenfalls eigener Atomwaffenambitionen nicht unverdächtig, macht seine Unterschrift von derjenigen Indiens abhängig. Komplizierter ist die Lage bei Israel, das nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste de facto längst ein Atomwaffenstaat ist und über mindestens 300 einsatzfähige Sprengköpfe verfügt. Doch während die wichtigsten Nato-Verbündeten der USA sowie Rußland immer deutlicher dafür plädieren, Israel solle dem Vertrag beitreten und seine Atomwaffen zunächst der IAEO-Kontrolle und dann einem regionalen Abrüstungsabkommen unterwerfen, schützt Washington die Regierung in Tel Aviv weiterhin vor internationalem Druck. Möglicherweise wird es aus diesem Grund schließlich nicht zu der von der Clinton-Administration angestrebten Mehrheit für eine unbefristete und bedingungslose Verlängerung reichen: dann nämlich, wenn Ägypten und andere arabische Staaten bei ihrer Ankündigung bleiben, dieser Verlängerung nur zuzustimmen, wenn Israel beitritt.

Nach Ansicht zahlreicher Rüstungskontrolldiplomaten hätten die fünf offiziellen Atomwaffenmächte die Mehrheit für das von ihnen favorisierte Verlängerungsmodell bereits vor Beginn der New Yorker Konferenz sicherstellen können, wenn sie sich auf ein Atomteststopp-Abkommen geeinigt hätten. Das wäre das konkreteste Zeichen für atomare Abrüstungsbereitschaft gewesen. Doch China will noch bis Mitte 1996 weitertesten, um den „technologischen Rückstand“ zu den anderen vier Mächten, die zur Zeit ein Testmoratorium einhalten, aufzuholen. Und die Regierung in Paris wollte sich vor den Präsidentschaftswahlen nicht festlegen.