Press-Schlag
: Erstaunliche Geschichte

■ Nach 3:2 über Rußland sind deutsche Eishockey-Junioren auf EM-Halbfinalkurs

Als sich der mächtige Jubel ein bisserl gelegt hatte, da hat der Assistenzcoach Walter Köberle seinem Chef Setters auf die Schultern geklopft und gesagt: „Gell, Jim, jetzt hast du Eishockeygeschichte geschrieben.“ Na, Vorsicht mit den Superlativen und all den abgenutzten Sätzen: Jim Setters hat gelacht, ein bißchen distanziert, dann aber gesagt: „Es passiert nicht jeden Tag, daß wir die Russen schlagen.“ Mächtig untertrieben, gar nie ist es passiert bei offiziellen Turnieren. Nicht im Seniorenbereich und schon gar nicht in all den 24 Jahren, an denen Deutsche an Junioren- Europameisterschaften teilgenommen haben. Als bestes Ergebnis steht nach wie vor der 4. Platz von Füssen 1969, im Schnitt hat man 0.301 Punkte geholt. Und jetzt spielt man also seit Sonntag in Berlin. Und Setters hatte zwar in nordamerikanischem Vorwärtsdenken gesagt, man wolle „jedes Spiel gewinnen“, aber, naja, daß es nicht zum allerbesten mit dem Nachwuchs steht, weiß man schließlich. Und nun hat man gegen die Tschechen trotz äußerst mangelhafter Defensivarbeit ein 4:4 geholt und am Mittwoch in Hohenschönhausen die Russen mit 3:2 geschlagen.

Nun ist zum einen allerdings auch mit dem russischen Nachwuchs nichts mehr, wie es war, und fehlt es allenthalben an einstiger Infrastruktur, zum anderen blieben die läuferisch und stocktechnisch weit überlegenen Jungrussen allesamt „unter ihren Möglichkeiten“, wie Trainer Igor Dmitriew grollend grummelte. Aber, hat Setters gesagt: „Die können vielleicht besser spielen, aber wir haben versucht, das zu verhindern.“ Zwar blieb das Spiel fehlerintensiv und verloren die Deutschen gerne den Überblick, doch nicht mehr eklatant wie gegen die Tschechen. Dann hat man sich in den Zweikämpfen überraschend gut gehalten, in Unterzahl effektiv zugemacht, die letzten Minuten mit den besten zwei Verteidigungsreihen durchgezogen. Danach, erzählte Setters, saßen die Seinen unten in der Kabine und konnten „sich nicht mehr bewegen.“

Oben auf der Tribüne nickten sich die Scouts derweil anerkennend zu. Fast alle NHL- Klubs haben ihre Experten vor Ort, zu geht's ein bißchen wie auf dem Viehmarkt, da wird gekuckt, verglichen, kontrolliert. Das russische Stürmerduo Morozow und Nabakow haben sie längst auf dem Zettel, letzterer ein technisch begabter 18jähriger, der Tore macht und zudem 1,89 Meter groß ist. Aufgemerkt dürften sie auch bei dem Mannheimer Center Jochen Hecht haben. Der Junge ist 17, DEL- erprobt und hat den Sieg mit einem Tor und einem Assist begründet.

Bei all der Freude hat Setters den Seinen aber schnell gesagt, daß „wir nur einen Schritt weiter, doch nicht am Ziel sind.“ Jenes heißt nun Halbfinale, was dann geschafft ist, wenn man heute die Norweger schlägt, die gegen die Tschechen 0:16 verloren haben. Vorsicht, warnt dennoch Setters, „die können auch Eishockey spielen“, und nicht weniger, sondern „mehr müssen wir tun, wenn das deutsche Eishsockey nach oben will.“ Oben ist da, wo die Medaillen sind, auch Präsident Gossmann redet bekanntlich gerne von jenem „Aufschwung“, den es zu bestätigen gelte, der allerdings bisweilen für Nichteingeweihte nur schwer auszumachen ist. Das EM-Halbfinale wäre, auch wenn der Wettbewerb nicht den allergrößten Stellenwert hat, etwas zum Vorzeigen, doch, Überraschung, nur „das erste Ziel, das wir uns gesetzt haben.“ Das hat Jim Setters ganz gelöst in den Hohenschönhausener VIP-Raum gesprochen, dann „prost“ gesagt, aber nur mit Selters angestoßen. Was uns sagen soll: Da kommt noch was. Mag es nicht für die Historienbücher sein, eine erstaunliche Geschichte wär's allemal. Peter Unfried