Woher Süden nehmen ...

... und nicht stehlen? Eine Krisensitzung im Berliner Haus der Kulturen der Welt zum Thema „Nord-und Südkunst“ / Statt die Möglichkeiten des Hauses auszuloten, hagelte es Selbstbezichtigungen  ■ Von Brigitte Werneburg

Die raison d'etre der Gründung des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin war Politik. Die eingemauerte Stadt sollte über das Satelliten-Projekt mit Informationen, Menschen und Objekten aus dem Universum internationaler Kunst und Kultur versorgt werden. Mit dem sogenannten Umbruch 1989 kam das Projekt in den Ruch, überflüssig zu sein. Statt der Krise der Stadt jetzt also die Krise des Hauses der Kulturen der Welt. Aber Krisen kommen der Stadt inzwischen als Tagungsort zugute: Nach dem Klimagipfel nun der Kunstgipfel im HKW, zu den Möglichkeiten interkultureller Dialoge zwischen „Nord-“ und „Süd- Kunst“ und zu den eigenen Möglichkeiten zu zeigen, daß man keineswegs überflüssig ist.

Moderiert von der Berliner Kuratorin und Kritikerin Sabine Vogel diskutierten am Dienstag abend auf dem Podium Christoph Tannert, Leiter des Künstlerprogramms des Bethanien, Gerardo Mosquera, Leiter dreier Kunst- Biennalen in Havanna, Cathrine David, Leiterin der kommenden 10. documenta in Kassel, Joachim Sartorius als ehemaliger Leiter des Künstlerprogramms beim DAAD und der Sammler und einstige Galerist Paul Maenz über „Berlin als kulturelle Drehscheibe in einer polyzentrischen Welt – Anspruch und Wirklichkeit“. Das Publikum kam zuhauf, man darf vermuten, daß das angekündigte Erscheinen von Cathrine David dabei eine gewichtige Rolle spielte.

Sabine Vogel eröffnete die Diskussion mit der Frage, warum eigentlich Berlin Vermittlungszentrum einer sich zuletzt rasant an Teilnehmern erweiternden (kulturellen) Welt sein müsse. Das war die Frage nach dem Metropolenstatus der Stadt, auf den Paul Maenz setzte, als er vor drei Jahren von Köln nach Berlin kam. Weil sie müssen, können Metropolen zwischen den verschiedensten Partnern noch am besten vermitteln. Das ist eine relativ gut abgesicherte Erfahrung. Joachim Sartorius allerdings stritt Berlin die nötige kulturelle Heterogenität ab, die eine Weltstadt auszeichnet. Zu homogen, zu sehr nach Norden und Osten orientiert, von kleinen Seitenblicken in den Westen abgesehen, habe die Stadt keinerlei Anspruch darauf, in der Auseinandersetzung mit dem Süden profiliert zu sein. Wenn das für die Stadt stimmt, dann aber nicht für das HKW, hätte man einwenden können, aber niemand tat es. Der Eindruck, der nicht weiter thematisierte Anspruch der Diskussionsteilnehmer gehe wohl eher dahin, daß sich der kulturelle Austausch weniger institutionell als aus dem beschleunigten Lauf der Dinge selbst herstellen möge, verfestigte sich im Fortgang der Diskussion. Über Politik wurde nicht gesprochen, auch nicht über Institutionen und nicht über Geld. Darüber müsse man sprechen, wurde gesagt, aber man sprach dann ganz basal über die Motive, sich mit der Kunst des Südens, der außereuropäischen Welt auseinanderzusetzen.

Damit fiel man aber hinter den unterstellten Lauf der Dinge zurück. Selbstverdächtigungen blieben nicht aus. Vereinnahmung des Fremden, um frisches Blut zu saugen, denunzierte die allzu menschliche Neugierde und Lust an der Exotik als ausschließlich ausbeuterisches Motiv. Gerardo Mosquera schien da keine so große Angst davor zu haben. Nun gut, die „Fruchtbarkeit der Mißverständnisse“ von denen Maenz sprach und dabei die Neugierde der Impressionisten auf Japan meinte (später käme wohl die „Negerplastik“ und der Kubismus hinzu), war nur für die europäische Kunst fruchtbar. Die Inspirationsgeber blieben draußen. Aber warum ein aktuelles Interesse an außereuropäischer Kunst ganz unbedingt auch heute mit deren Einverleibung durch die noch hegemoniale westliche Kunst enden muß, wurde nicht geklärt. Die Chancen dafür stehen eher schlecht, wenn Cathrine David recht hat, daß die gegenwärtige Offenheit für den Süden mit einer Krise des Kunstwerks zu tun hat, von der auch das Kunstwerk der sogenannten Dritten Welt betroffen ist. So geteilt ist die Welt in der Tat nicht mehr, daß hier die Krise und dort die Kur wäre, die man sich nur zu holen brauchte. Um die Parallele von Klima- und Kunstgipfel zu strapazieren: In der Globalität der Krise liegt ein wesentlicher Grund, über die Umverteilung der Chancen verhandeln zu müssen. Auch in der Kunst werden die Marktchancen und -positionen nicht länger allein beim Norden liegen können. Gerardo Mosquera plädierte dafür, schon jetzt mit den für die nächste Zukunft erwartbaren Szenarien zu argumentieren und zu planen. Genau damit hat das Haus der Kulturen der Welt nicht nur in Berlin, sondern überhaupt in Deutschland wohl am meisten Erfahrung.

Siehe Tagesthema Seite 3