Revolution – täglich oder gar nicht?

Die Autonomen suchen auf einem Kongreß in Berlin eine neue Perspektive  ■ Von Wolfgang Gast

Es sind vor allem Fragezeichen, die das Programm des Autonomie-Kongresses zu Ostern in Berlin bestimmen. Fragen wie „Was verstehen wir heute unter Autonomie?“, „Wer macht hier eigentlich noch radikale Politik?“ oder auch ein wenig verschraubter: „Revolution – täglich oder gar nicht! Was nun? Organisierung? Widerstand? Träume und Utopien?“ So heißen die Stichworte der täglichen Eröffungsveranstaltungen, denen anschließend eine Fülle von kleineren Arbeitsgruppen folgen sollen, von der „AG Autonomie und Militanz“ bis zur „AG Stadtteil- und Verkehrpolitik“.

Fraglich war am Ende sogar, ob der Kongreß denn überhaupt stattfinden werde. Nachdem die Humboldt Universität ihre anfängliche Zusicherung, Räumlichkeiten für die erwarteten rund tausend TeilnehmerInnen zu Verfügung zu stellen, zurückzogen hatte, stellte sich als neues Fragezeichen: Ausweichen oder abblasen oder doch erkämpfen?

Diese Überlegung mußte in letzter Konsequenz nicht umgesetzt werden: Die Technische Universität in Berlin gab – in beinahe letzter Minute – Räume zur Benutzung frei, allerdings unter drastischen finanziellen Konditionen.

Glanz und Gloria der linksradikalen wie undogmatischen Bewegung sind längst verflogen, und vergessen scheinen die Tage in den Hüttendörfern von Startbahn- West, Wackersdorf oder Gorleben. Der „Häuserkampf“ Anfang der 80er Jahre taugt noch für Erinnerungen in längst „legalisierten“ Häusern, auch der jährliche „Kiezaufstand“ am 1. Mai im Berliner Bezirk Kreuzberg hat sich selbst aus der Sicht der Autonomen zu einem sinnentleerten Ritual entwickelt. So findet sich denn auch in einem zum Kongreß erschienen Reader die Aussage: „In den 80er Jahren sind die Autonomen in der Öffentlichkeit teils zum Mythos, teils zum BürgerInnenschreck geworden, in den 90er Jahren – nicht unverschuldet – eher zur Karrikatur“.

Es soll über die Ostertage zu einer grundsätzlichen Debatte linksradikaler Politikansätze kommen. Zu Wort kommen dann auch die KritikerInnen der Autonomen- Bewegung. Etwa die Berliner Gruppe F. E. L. S (Für eine linke Strömung), die für eine Arbeitsgruppe „Kritik an den Autonomen und Folgen aus der Kritik“ eine harsche Stellungnahme verfaßte. Mit dem Urteil: „Die Struktur der Autonomen Bewegung ist undemokratisch und nicht reformierbar“. Entscheidungen würden nicht auf Vollversammlungen oder offenen Treffen fallen, sondern „in den informellen Szene-Klüngeln“. Auf wenig Gegenliebe dürfte auch die F. E. L. S.-These über den Subjektivismus der Autonomen stoßen: „Die Autonomen sind eher ein subkulturelles Ghetto als eine politische Bewegung, ihre Fixierung auf sich selbst verhindert, daß andere Menschen, die nicht so leben, aber potentiell linksradikale, revolutionäre Politik machen würden, Teil einer linksradikalen Bewegung werden“.

Bewußt haben die InitiatorInnen den Titel „Autonomie-Kongreß“ dem des „Autonomen-Kongresses“ vorgezogen. Es soll ein Treffen der gesamten „linksradikalen und undogmatischen Bewegungen“ werden, bei dem „ohne formale Abgrenzung auf der einen Seite und falsche Rücksichtnahme auf der anderen, die schwelenden und verschütteten Konflikte“ ausgetragen werden sollen.

Dem Treffen wird von TeilnehmerInnen wie OrganisatorInnen eine Schlüsselfunktion zugerechnet. In einem weiteren, zum Kongreß erschienenen Lesebuch heißt es: „Wenn's gut geht, kann der Kongreß so etwas wie eine Bestandsaufnahme, ein Kräftesammeln und ein Generationswechsel für den Neubeginn linksradikaler, undogmatischer – also autonomer – Opposition sein. Anderenfalls ist er für einige das Schlußwort zu einer Phase sozialer Bewegung, die in ihrem Leben mal eine große und hoffnungsvolle Rolle gespielt hat. Der Ausgang ist offen, so offen wie die Fragen, die dort zusammengetragen werden könnten.“