■ Jens Reich zum Tenor linksbewegter Reaktionen, er vertrete in der Ökologiefrage stalinistische Positionen
: Ich will mich rechtzeitig wehren und nicht auf Wunder warten

Um die Diskussion zu verschärfen, trugen die Interviewer des Spiegel (14/1995) mir den Vorschlag „Ökodiktatur“ an. Anstatt umgehend politisch ultrakorrekt zu dementieren, antwortete ich: „Ja. Es gibt Dinge, die muß man mit einem Klaps auf den Hinterkopf durchsetzen. Das ist aber ein Klaps, den sich die Gesellschaft selbst geben muß. Natürlich kann der Ökologie-Rat nicht die Diktatur gegen die Bevölkerung und die politische Klasse durchsetzen. Es gehört schon dazu, daß sich die Gesellschaft selbst in Bewegung setzt.“

Und dem Sinn nach kurz zuvor, daß der Ökorat sich demokratisch legitimieren müßte, allerdings nicht alle vier Jahre, weil er dann genauso in dem Legislaturperioden-Gewusel untergehen würde. Das hat mir nun linksbewegte Faxe mit dem Vorwurf stalinistischer Positionen eingebracht.

Wir wollen auf dem Teppich bleiben. Was dieser Gesellschaft bevorsteht, ist nicht die ökofaschistische Diktatur, sondern die Fortsetzung der hedonistischen Luxusgesellschaft auf der „Titanic“, bis der Eisberg gerammt ist. Wobei das Unterdeck (der Tricont) bei dem Tanzfest nur von Ferne zuschauen darf.

Bei der ökologischen Umgestaltung der Gesellschaft müssen weder die Lichter ausgehen, noch müssen Freiheit, Arbeitsplätze und der Standort Deutschland untergehen. Trotzdem wird es nicht zum Nulltarif zu haben sein, wenn auf den Export aller Ökokosten in die Senken verzichtet werden muß, weil deren Pufferungskapazität zu Ende geht. Da lohnt es schon, darüber nachzudenken, wie die impotenten politischen Strukturen umgestaltet werden müssen, damit Entscheidungen überhaupt möglich werden. Und wenn dabei mein erster Vorschlag in Richtung Staat Bundesrepublik geht, die als fast reichstes Land der Erde als erste und energisch anfangen müßte, soll global überhaupt etwas angestoßen werden, dann bedeutet das weder, daß ich „zutiefst“ etatistisch denke, noch daß ich die „kleinen Leute“ elitär überspiele, noch mit UNO-Grünhelmen weltweit kommandieren will.

Es gibt zwei Arten von Ökosystemen. Die „weichen“ reagieren elastisch mit negativer Rückkopplung und mit langsamen Zeitkonstanten auf Streßlast. Wäre unser globaler Ökohaushalt von diesem Typ, wir könnten die Einstellung eines neuen Gleichgewichts in Ruhe abwarten. Leider gehört er jedoch zu den „harten“ Systemen. Die erkennt man an ihrer dynamischen Struktur, worauf ich hier nicht eingehen kann (Stichworte: dominante verstärkende Rückkopplungen; autokatalytischer Einfluß auf die eigenen Steuerparameter; globale kritische Parameter, auf die die einzelnen Variablen nur partiell Einfluß haben; diskontinuierliche Phasenübergänge; alternative stationäre Zustände).

In harten Systemen ist der Übergang wesentlich kürzer als jede reaktive Anpassung langsamer Parameter. Es sind diese Ökosysteme, die sich lange verteidigen und dann mit Lawineneffekt untergehen.

Für uns bedeutet das: Es droht ein schlagartiger Kollaps, wobei weder Zeitpunkt noch auslösende Variablen präzise vorhersehbar sind. In dieser Gefahr ist es eine notwendige (bei weitem nicht hinreichende) Forderung, daß die ökologischen Überlebensentscheidungen hohen Verfassungsrang erhalten (nicht nur den bescheidenen Nebensatz, der seit vorigem Jahr im Grundgesetz steht) und daß ein ökologisches Parlament (oder ähnliches, jedenfalls unabhängig vom Parteienclinch) durch Gewaltenteilung entsprechend ausgestattet wird.

Alle Einwände (Welche Rechte hat diese Truppe eigentlich? Wer kontrolliert sie? Für 15 Jahre? Ist das nicht eine Expertokratie? Wer wählt sie? Das Wahlvolk? Der Kanzler? Jens Reich gar? [antielitärer Seitenhieb!] Der Bundestag vielleicht? Dann wird der Klub doch genau so doof wie der Bundestag!) – lauter solche Einwände könnte man mit derselben Durchschlagskraft gegen andere Verfassungsorgane (Bundesverfassungsgericht, Bundesbank) erheben.

Wie man ein solches Parlament legitimiert, wie man die richtigen Leute (eben nicht lauter Experten und Lobbyisten) hineinbekommt, ohne sie in der Tretmühle des Politalltags sofort zu verschleißen, wie man die nötige Eingriffsmacht definiert, ohne daß sie zu unsinniger Übermacht wird, wie man wirksame „checks and balances“ garantiert – dazu würde ich mir gerade von der Bundestagsgruppe der Grünen kreativere Beiträge wünschen als aufgeregtes Gerede über angebliche realsozialistische Wiederbelebungsversuche.

Dann sagt lieber gleich: Wir wollen nicht, daß ökologische Vitalentscheidungen Verfassungsrang haben, das schränkt die schrankenlose Freiheit zu sehr ein. Ich habe dann die falsche Partei gewählt.

Michaele Hustedt schreibt: „Wir müssen mit der Angst leben. Uns bleibt nichts anderes.“

Entschuldigung: Da gehe ich nicht mit. Ich habe drei jung erwachsene Kinder und zwei Enkelkinder. Ich möchte, daß wir uns rechtzeitig wehren. Und nicht warten, bis vielleicht ein Wunder geschieht.

Der Autor ist ehemaliger Bürgerrechtler und arbeitet als Molekularbiologe in Berlin;

der Kommentar der grünen Bundestagsabgeordneten Michaele Hustedt ist am 10.4. auf dieser Seite erschienen