■ Mit Atomruinen auf du und du
: Zweiter Sarkophag

Berlin (taz) – Die GAU-Ruine von Tschernobyl braucht dringend einen zusätzlichen Mantel aus Beton und Stahl, um die Umwelt vor einer weiteren radioaktiven Verseuchung zu schützen. Zu diesem Ergebnis kommt eine unveröffentlichte Studie von Experten des Konsortiums „Alliance“, das aus mehreren Firmen mit Erfahrung im Atomsektor besteht.

Der erste Betonmantel für Block 4 von Tschernobyl war zwischen Mai und November 1986 in größter Eile errichtet worden. Inzwischen zeigt sich, daß dieser Sarkophag nicht ausreicht: Er ist einsturzgefährdet und undicht; Experten fürchten außerdem, daß es im Inneren zu unkontrollierbaren atomaren Kettenreaktionen kommt.

Die neue, von der EU finanzierte Studie soll nun die Machbarkeit eines zweiten, zusätzlichen Sarkophags abschätzen. Die Autoren machen darin unmißverständlich klar, wie dringend ein solcher zweiter Mantel für Block 4 ist: „Die Einsturzgefahr ist hoch. Wie sich ein solcher Einsturz auf Menschen und Umwelt auswirken würde, ist nicht abschätzbar.“

Als Ziel nennt die Studie eine Haltbarkeit des zweiten Sarkophags von etwa hundert Jahren. Leichte Konstruktionen entfallen deshalb; empfohlen wird eine Kombination aus Beton und Stahl. Am besten geeignet sei eine Konstruktion, die die Blöcke 3 und 4 überspannt – was allerdings hieße, daß Block 3 ebenfalls abgeschaltet wird, was die Ukraine bisher ablehnt.

Eine Reihe von Schwierigkeiten werden in der Studie nur benannt, ohne daß eine Lösung dafür in Sicht wäre. Die Kosten seien zum Beispiel heute noch überhaupt nicht abzuschätzen, so die Autoren. Außerdem muß die Konstruktion zwei sehr unterschiedliche Anforderungen erfüllen: Zum einen soll sie die Umwelt vor austretender Strahlung schützen, zum anderen aber soll der zweite Sarkopharg so konstruiert sein, daß die Atomruine in den nächsten Jahrzehnten allmählich demontiert werden kann.

Dabei sei darauf zu achten, so schreiben die Autoren lapidar, daß eines Tages nicht noch eine dritter Betonmantel notwendig wird, weil der zweite die Strahlung nicht mehr zurückhalten kann ...

Völlig unklar bleibt auch, wie das Problem des Atommülls gelöst werden soll. So schätzen die Experten, daß allein bei den Bauarbeiten für den zweiten Sarkophag etwa 300.000 Kubikmeter radioaktiver Müll anfallen werden. Sofern dann eines Tages mit der Demontage von Block 4 begonnen wird, sei noch mal mit 500.000 Kubikmetern schwach radioaktivem Müll zu rechnen; die riesige Menge von etwa 40.000 Kubikmeter hochradioaktivem Abfall sei dann ebenfalls zu erwarten. Felix Berth