Kulturkampf im Regierungsviertel

■ Das Berliner "Haus der Kulturen" ist zum Exempel für den Kampf Bonn-Berlin um die Finanzierung der Hauptstadtkultur geworden. Weil 1,9 Millionen Mark fehlen, droht ihm - auch politisch - der Bankrott

Kulturkampf im Regierungsviertel

Mitten im künftigen Regierungsviertel, unweit des Reichstags, erhebt sich die „schwangere Auster“, die ehemalige Kongreßhalle, die den Berlinern 1957 von den Amerikanern geschenkt wurde. Hier logiert seit Anfang 1989 das „Haus der Kulturen der Welt“. Es ist die größte Multi-Kulti-Einrichtung Deutschlands, eine Gründung des Auswärtigen Amts. Das HKW veranstaltet Ausstellungen wie „Havanna, São Paulo – Junge Kunst aus Lateinamerika“, Lesungsreihen wie „Dichter des Orients“, Musikprogramme wie „Blasmusik 90 – auf dem Weg von Asien nach Europa“. Mit großem Erfolg. Im letzten Jahr kamen über 300.000 Besucher zu über tausend Veranstaltungen.

Dafür wird es gelobt, auch von höchster Stelle. Das Haus sei „für den Kulturaustausch von herausragender Bedeutung“, erkannte Klaus Kinkel, und Berlins Bürgermeister Diepgen sekundiert: „Ein Juwel im Kulturangebot der deutschen Hauptstadt“.

Nun muß es möglicherweise Konkurs anmelden.

Der Institution fehlt es – wieder einmal – an Geld. Bis maximal Juli sei man noch liquide, und wenn sich bis dahin keine verbindliche längerfristige Finanzierungslösung abzeichne, sei man pleite. Trotz des Lobs. Oder vielleicht gerade deshalb?

Pokerrunde um das Haus der Kulturen

Das Problem ist nicht neu. Die Schere aus kulturpolitischen Sonntagsreden und höflichem Desinteresse an der Finanzierung ging von Beginn an auseinander – und öffnet sich immer weiter. Bereits seit Anfang 1994 versuchen die beiden Gesellschafter des HKW – das Auswärtige Amt (AA) und das Land Berlin – sich die finanzielle Verantwortung gegenseitig zuzuschieben. Bonn zahlte bis 1993 2,8 Millionen Mark Projektmittel, Berlin übernahm, als Besitzerin der Kongreßhalle, mit 5,9 Millionen Mark den technischen Unterhalt des Gebäudes und die Personalkosten.

Dann fing der Streit an, und seitdem scheint es, als ob das HKW zu einem symbolischen Kampfplatz im Tauziehen um Haupstadtfinanzierung zwischen Bonn und Berlin geworden ist. Berlin kürzte seine bisherigen Zuwendungen von 5,9 auf 3,3 Millionen herunter. Wie konnte es dazu kommen?

Das HKW wurde zum Exempel für den Konflikt um die Finanzierung der Hauptstadtkultur. Alles begann im Januar 1994 mit Waigels Streichung von 640 Millionen Mark Berlin-Hilfe. Darauf reagierte Diepgen mit der beherzten Drohung, Berlin werde sich im Gegenzug einfach aus allen mit dem Bund gemeinsam finanzierten Kultureinrichtungen zurückziehen – so auch aus dem Gesellschaftervertrag des HKW. Dazu kam es – nach einem Hilfeschrei des HKW mit enormem Medienecho – dann doch nicht (siehe taz vom 14. und 15. 1. 1994). Allerdings strich der Senat seinen Anteil zusammen, um so das Bonner AA zu zwingen, die Mehrfinanzierung zu übernehmen. Nur: Das AA konnte gar nicht übernehmen, ein Grundsatzbeschluß des Bonner Haushaltsausschusses hatte die Neuaufnahme institutioneller Etattitel verboten. Die Pokerrunde Bonn- Berlin war damit offiziell eröffnet.

Anfang 1995 kam der nächste Spielzug der Bonner Regierung: Für die Berliner Kultur wurden statt des von Berlins Kultursenator Roloff-Momin angesetzten Minimalbedarfs von 148 nur 28 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Seitdem beharrt Roloff-Momin noch nachdrücklicher auf seiner Kulturformel, daß vom Bund mitfinanzierte Institutionen auch schon jetzt von diesem zu bezahlen seien – besonders wenn sie eine über Berlin hinausweisende Repräsentanzfunktion haben.

Das trifft auf das HKW zu. Weshalb es sich hervorragend dazu eignet, diese Formel an ihm durchzubuchstabieren. Die 28 Millionen sind in der Tat „lachhaft“ (Roloff- Momin). Aber noch haben die Bonner Beamten die Hauptstadt nicht bezogen – und die Stadt Bonn erhält bis zum Auslaufen eines im Dezember 1989 noch eilfertig abgeschlossenen Bonner Hauptstadtkulturvertrages im Jahre 1999 immerhin jährlich 130 Millionen Mark. Zur Bestandssicherung.

Was heißt das für das HKW? Um diese Frage zu beantworten, muß man weiter ausholen.

Nach Bonn kam Berlin: In einem „unterschriftsreifen Zuwendungsvertrag für die Berliner Hauptstadtkultur“ hat der Kultursenat in Abstimmung mit dem zuständigen Bundesinnenministerium (BMI) ebenfalls eine Liste „hauptstadtrelevanter“ Kulturinstitutionen erstellt – die müßte nun von einer von Bund und Berlin zu besetzenden Kommission abgesegnet werden. Diese Pokerrunde gibt es allerdings noch nicht.

Über die Existenz und den Inhalt dieser „Liste“ gab es reichlich Spekulationen. Einerseits verbanden sich damit Rettungsvorstellungen bedrohter Kultureinrichtungen, andererseits bot dieses Thema immer wieder Anlaß zu einer Versäumniskritik an Roloff-Momin. Wer steht drauf, wer nicht?

Seit einer Veröffentlichung in der Berliner Zeitung kennt man zumindest die Version mit den sogenannten „Leuchttürmen“, zehn an der Zahl, darunter Staatsoper und Deutsche Oper, Deutsches Theater und Schaubühne. Das HKW, behauptet die Kulturverwaltung, habe immer auf dieser Liste gestanden und sei auch in der aktuellen Version vertreten. Nur ein bißchen weiter hinten, heißt es, bei den Institutionen eben, die der Bund bereits voll oder anteilig finanziert (wie das Deutsche Historische Museum oder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz), und für deren „Haupstadtrelevanz“ er nach Berliner Auffassung bereits jetzt und allein zu sorgen hat.

Dem kann man einiges abgewinnen, allein, es läßt sich schlecht erzwingen.

Der Finanzierungspoker zwischen Bonn und Berlin hat mittlerweile einen toten Punkt erreicht. Niemand arbeitet mehr an Lösungen und Modellen, jeder will nur Recht behalten. Deshalb, argwöhnt man dort, versuchen nun beide Seiten, dem HKW den Schwarzen Peter zuzuschieben. Weil sie sich das Scheitern ihrer Strategien nicht eingestehen können, arbeiten Bonn und Berlin jetzt im Schulterschluß – indem sie behaupten, das HKW sei ein selbstverschuldeter Sanierungsfall. Roloff-Momin rief zur „Phantasie beim Sparen“ auf. Und Das AA schickte einen Wirtschaftsprüfer. Der ermittelte einen Tag lang, legte einen falschen Etat zugrunde und ignorierte die Einnahmen des Hauses aus Veranstaltungen – immerhin 4 Millionen allein 1994. Das HKW wünscht sich vom Aufsichtsrat jetzt einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer, der auch die seit 1989 in Eigenleistung erbrachten 34 Prozent Einsparungen bestätigen könnte. Eine wahrhaft verzweifelte Maßnahme – denn wer, bitteschön, holt sich schon freiwillig einen Buchprüfer ins Haus?

Derweil hat man einen „risikobehafteten“ Nothaushalt aufgestellt, indem man beste Bedingungen zugrundelegte: einen milden Winter beispielsweise, wegen der Heizkosten. Dennoch bleibt ein Fehlbetrag von 1,9 Millionen Mark für 1994. Wird es das Haus im nächsten Jahr noch geben?

Eigentlich habe immer nur Bonn gegen das HKW argumentiert, klagt man im Haus. Von Aufsichtsratsmitglied Dr. Lothar Wittmann und in der Kulturabteilung des AA beschäftigt, kolportierte die Frankfurter Rundschau am 4. April, er habe „ins Protokoll einer Aufsichtsratssitzung diktiert“, das Haus solle die eigene Programmgestaltung aufgeben und sich nach den Wünschen des AA richten – ansonsten könne man jederzeit die Mittel sperren. Dazu könne man nichts sagen, hieß es dazu im HKW – die Aufsichtratsprotokolle sind vertraulich. Auch eine Auskunft.

Auch in der Nutzungsfrage der Kongreßhalle durch die Besucherdienste des Bundestages verhielt sich das AA absolut „regierungssolidarisch“ (siehe taz vom 5. 10. 1992). Inzwischen hat man sich auf eine gemeinsame Nutzung geeinigt: Seitdem stößt der multikulturell interessierte Besucher im Foyer des Hauses auf Informationsstände des Bundestags und kann sich eine halbe Etage tiefer über die Geschichte des Reichstags aufklären lassen.

Vielleicht, so befürchten die Beamten des HKW inzwischen, will das Auswärtige Amt die Institution auf die Größe einer Agentur herunterkochen, die von einer Büroetage aus die Republik mit eingekauften Programmen beliefert wird. Oder es wird zu einer Ausstellungshalle für befreundete Nationen. Da stellt dann die Gattin des chilenischen Botschafters ihre Aquarelle aus. Da gilt es, die tagespolitischen Interessen auswärtiger Kulturpolitik kostengünstig zu dokumentieren.

Die Beamten des Hauses halten sich zurück

Offensichtlich greift die Bonner Campus-Mentalität hier einmal nicht. Wie sonst kommt es, daß das AA nicht stolz darauf ist, mitten im Regierungsviertel, in schöner Fußläufigkeit zu Reichstag und Bundeskanzleramt, prominent vertreten zu sein? Hat das AA inzwischen vielleicht seine Prioritäten verschoben? Auch die Goethe-Institute setzen ja, auch aus Kostengründen, eher auf Sprach- als auf Kulturvermittlung.

Die Generalsekretärin und Geschäftsführerin des HKW, Anke Wiegand-Kanzaki, mag diese Überlegungen so nicht bestätigen. Sie sieht den möglichen Kurswechsel im AA eher gesamtpolitisch in einer Interessensverlagerung weg vom Süden, den Ländern der Dritten Welt, hin zum Osten. Der bietet dem Westen im Gegensatz zur Dritten Welt Märkte – und weniger kulturelle Barrieren. Aber das HKW sei keine x-beliebige Bürgerinitiative, sondern habe schließlich einen deutlich formulierten Auftrag. Wenn sich der geändert haben sollte, müßten die Gesellschafter eben „die Karten auf den Tisch legen“. Welcome to the Club. Es wird gepokert. Viel mag sie gegenüber der taz allerdings nicht sagen. Sie hält es für „Black Magic“, sich um die Motive von Politikern zu kümmern und will sich überhaupt nur an „Tatsachen“ halten. „Spekulationen und negatives Denken helfen auch nicht.“ Den Spalt zwischen folgenlosem Hochgelobtwerden und drastischen Kürzungen mag sie nur „komisch“ finden.

Wem derlei vornehme Zurückhaltung politisch nützt, ist noch nicht ausgemacht.

Nun rächt sich diese Loyalität gegenüber Bonn

Zu häufig schon hat das HKW immer nur ein bißchen um Hilfe geschrien, ängstlich bemüht, den Geldgeber AA nicht zu verärgern und die „Verhandlungen“ nicht zu stören. Zugegeben: Man hatte nie konkrete Zahlen – dafür aber jede Menge politischer Signale, man werde das Haus schon über die Hürden bringen. Darauf habe man sich vielleicht allzu blauäugig verlassen. Doch schließlich kommt ein Großteil des leitenden Personals vom Goethe-Institut – und will dorthin vielleicht einmal zurück. Sie werden im HKW zwar vom Berliner Senat bezahlt, aber ihr Dienstherr bleibt das AA.

Nun rächt sich diese Loyalität. Denn das politische Interesse von Bonn und Berlin, sich gegenseitig die Finanzierung zuzuschieben, hat das politische Interesse an der Institution schon längst überlagert. Wissen die Politiker, was auf dem Spiel steht? Wie wichtig ist ihnen in Zeiten der Ausländerfeindlichkeit und der grassierenden Nationalismen eine Institution, die sich um Völkerverständigung bemüht?

Falls der Bund ausfällt, so die Position vom Berliner Bündnis 90/Die Grünen, muß Berlin zahlen, das HKW muß rundum gesichert werden. Denn es ist eine „Berliner Einrichtung wie der Insulaner“. Mit überstaatlicher Repräsentanzfunktion, versteht sich.