Abseits des Desert Highway

Mit dem Fahrrad durch Jordanien  ■ Von Sonja Wagenbrenner

Die Fahrt aus Amman heraus ist die Hölle: Massen von Autos, die lärmen, stinken und hupen. Die Mittagshitze kennt keine Gnade, ein arabischer Schilderwald dreht sich um meinen Kopf. Und vor mir: die vierspurige Schnellstraße, die geradewegs in den gleißenden Himmel führt. Ich bereue jedes Pfund zuviel in meinen Satteltaschen. Jedes einzelne zerrt mich rückwärts, wieder ein Stück den Berg hinunter. Die Zweimillionenstadt Amman zwängt sich in steilwandige Schluchten; einmal drin, glaubt man, nie wieder herauszukommen. Die Menschen wohnen in grauen, einfallslosen Betonhäusern, die wie Wespennester an den Hängen kleben. Viele sind gar nicht fertig und werden es vielleicht nie. Als wir durch die Vorstädte fahren, ein gegensätzliches Bild: Hier wohnen die Reichen in streng bewachten Villen mit weitläufigen Parks und sehen auf das Treiben der Stadt hinab. Nach einer Stunde liegt der Streß hinter uns. Endlich frische Luft und weite, sanfte Hügel. Der Asphalt ist gut und unsere Mountainbikes schnurren friedlich nebeneinander her. Die meisten Jordanier fahren Pick-ups mit offener Ladefläche. Hauptsächlich japanische und deutsche Marken. Mercedes ist mit Abstand am beliebtesten. Gerade kommt uns ein grüner VW-Käfer entgegen. Drinnen sitzen zwei sonnenverbrannte Jordanier mit weißen Kaftanen und arabischen Kopftüchern. Sie hupen zum Gruß und winken aus offenem Fenster: „Hey, hey! Welcome! Welcome to Jordan!“

Am tiefsten Punkt der Erde

Noch eine Abzweigung und wir sind auf dem richtigen Weg: zum Toten Meer, dem tiefsten Punkt der Erde. Die Abfahrt ist grandios. Kahle Bergkuppen, die sich aneianderdrängeln wie die Rücken einer Elefantenherde. Fast eine Stunde brauchen wir, um die 1.000 Höhenmeter hinabzusausen. Nach einer langgezogenen Kurve taucht es in der Nachmittagssonne vor uns auf: das Tote Meer inmitten einer öden, steinigen Landschaft. 400 Meter unter dem Meeresspiegel. Ganz glatt und ruhig. Kein Laut, nur ab und zu das zaghafte Meckern einiger Ziegen. Sie gehören den Beduinen, den wandernden Bewohnern der Wüste. Ihre Zelte aus schwarzem Tuch stehen nicht weit von der Straße. Fast gespenstisch, die zehn Kilometer lange Fahrt an diesem verlassenen Ufer entlang. Die Luft ist feuchtwarm. Über dem Wasser liegt Dunst. Als wir am einzigen Hotel der Gegend ankommen, wird es schon dunkel. Aber die Preise vertreiben uns: 200 Mark pro Nacht sind zuviel. Und eigentlich spricht nichts gegen eine Nacht im mitgebrachten Zelt. So kommen wenigstens die durstigen Moskitos auf ihre Kosten.

Am nächsten Morgen der erste Blick aus dem Zelt: klar umrissen die staubfarbenen Berge am Ufer gegenüber. Dort liegt Israel. Die Staatsgrenze verläuft mitten durchs Tote Meer. Der Hauptzufluß zu dem Binnenmeer ist der Jordan. Einen Abfluß hat es nicht. Aufgrund der starken Verdunstung ist der Salzgehalt des Wassers sehr hoch und bewirkt enormen Auftrieb. Im Meer spiegelt sich der tiefblaue Himmel. „Das sieht alles gar nicht so tot aus“, rufe ich, und wir begeben uns hinein ins salzige Badevergnügen. Die Probe aufs Exempel ist wirklich zu komisch: Kaum lösen sich die Füße vom Meeresboden, schnellen Arme und Beine an die Oberfläche. Als hätte man Schwimmflügel an allen Gliedmaßen. Da hilft kein Strampeln. Und koordiniertes Schwimmen ist so gut wie unmöglich. Einfach lang ausstrecken,den Kopf entspannt zurücklegen, und schon treibt der Körper wie eine Luftmatratze. Zeitunglesen kein Problem. Die Rückfahrt mit der 1.400-Meter-Steigung würde uns in der Hitze allerdings nicht so gut bekommen. Während wir in die Eisen treten und noch grübeln, wie sie vermieden werden kann, bremst vor uns ein schwerbeladener Lkw. Ein kleines bärtiges Männlein springt heraus, fuchtelt aufgeregt mit den Händen und brabbelt etwas weitgehend Unverständliches. Bedeutete wohl so etwas wie: „Ihr wollt doch nicht etwa da hochfahren?! Kommt, ladet auf, ich nehm' euch ein Stück mit!“ Keine Frage – er packt die Fahrräder auf den Kies obendrauf und bittet uns ins heimelig anmutende Führerhäuschen: bunte Sitzkissen, Thermoskanne, pink schillernde Lamettafransen an der Decke und Häkeldeckchen auf dem Armaturenbrett.

Auf der Königsstraße

Endlich bläst uns wieder Fahrtwind um die Nase. Auf dem Weg nach Süden lassen wir den „Desert Highway“, die jordanische Autobahn, ganz bewußt links liegen. Auf der wenig befahrenen Königsstraße kann man besser radeln. Sie ist ein uralter Verbindungsweg zwischen der Jordan-Region und dem Roten Meer. Für gläubige Muslime war die Königsstraße der wichtigste Pilgerweg nach Mekka, noch bis ins 20. Jahrhundert hinein. Die Straße windet sich durch tiefe, ausgetrocknete Flußtäler, die sogenannten Wadis. Mühsam quälen wir uns die Steigungen hoch. Bei Kilometer 15 bergauf kommt einem schon mancher Fluch über die Lippen. Die Gegend ist wenig fruchtbar. Nur hier und da ein Rinnsal, ein Fleckchen Grün. Und doch hat das spröde Land einen eigenwilligen Reiz. Alles schwingt in erdigen Tönen: Sand, Ocker, Rost. Die verstaubten Dörfer, wo sich Esel und Kamel gute Nacht sagen. Fast jedes mit einer eigenen kleinen Moschee. Und die Kinder am Straßenrand, die uns immer schon von weitem zuwinken. Bis ans Dorfende rennen sie juchzend hinter den Fahrrädern her.

In einem solchen Dorf halten wir, als es Abend wird. Eine Pension gibt es hier nicht. Aber wohin mit unserem Zelt? Im nächsten Laden bestellen wir erst mal Cola und Tee und warten ab. Meistens passiert irgendwas. Der Dorfbäcker Abdallah Mansor kommt vorbei und lädt uns ein, in seinem Vorgarten zu zelten. Neugierige Blicke der ganzen Familie, während wir aufbauen. Die Frauen bringen Matratzen und Kopfkissen. In Abdallahs Großfamilie leben vier Generationen unter einem Dach. Auf zwei Leute mehr oder weniger kommt es da offenbar nicht an.

Auf dem Weg zur Felsenstadt Petra

Petra liegt tief unten im Wadi Musa. Das Tal ist benannt nach Moses, der mit den Israeliten auf dem Weg ins Gelobte Land hier durch die Wüste zog. Mit einem Stab soll er Wasser aus dem Felsen geschlagen haben. Die Mosesquelle sprudelt heute noch aus dem verkarsteten Kalkboden. Um 300 v.Chr. bot dieser Platz dem Stamm der Nabatäer ideale Lebensbedingungen. Die Nabatäer waren reich, denn sie beherrrschten in kurzer Zeit den Handel auf den Karawanenwegen: Weihrauch, Myrrhe und Gewürze aus Südarabien, Seide aus China, Perlen vom Persischen Golf. Von den Zöllen lebten sie hervorragend. Selbst beuteten sie Kupferminen aus und schöpften Asphalt aus dem Toten Meer. Den kauften zum Beispiel die Ägypter, um damit Leichen zu mumifizieren. Die Nabatäer hatten so viel Geld, daß sie sich freikaufen konnten, als sie von den Römern belagert wurden. Das Lösegeld betrug 300 Talente: nicht weniger als 15 Tonnen Gold. Die Hinterlassenschaft der Nabatäer sind eindrucksvolle Tempel und Grabmäler, auf einer Fläche von drei Quadratkilometern in den roten Sandsteinfels gehauen.

Die Fahrräder müssen diesmal draußen bleiben. Der einzige Zugang zur Ruinenstadt führt nämlich durch den steinigen Siq: eine drei Kilometer lange Schlucht, die von unterirdischen Kräften in eine schwache Stelle des Felsens gerissen wurde. Manchmal ist der Weg so schmal, daß gerade zwei Kamele aneinander vorbeikommen. Über uns ragen die Felsen bis zu 80 Meter empor. Schaut man in die bizarren Sandsteingebilde, meint man Hunderte von Gesichtern zu erkennen: Eulen, Löwen, Affen, Pharaonen. Am Ende des Siq leuchtet uns durch die engen Felswände im Morgenlicht der rosarote Stein der „Khazneh“ entgegen. Ein 40 Meter hohes Grabmonument, das die Beduinen „Schatzhaus“ nannten. Irrtümlich glaubten sie, in der Fassade sei der Schatz eines Königs verborgen. Um etwa 100 n.Chr. hatten die Nabatäer mit spitzen Knochen und zugeschliffenen Steinen dieses Grab aus dem Felsen gemeißelt.

Weiter mit dem Rad auf der Königsstraße nach Süden. Bald müssen wir auf den Desert Highway abbiegen. Reisebusse und Schwerlaster donnern im Mindestabstand an uns vorbei. Zweimal höre ich schon die Engel singen. Dies ist die Hauptroute nach Aqaba. Die LKWs transportieren Kali und Phosphat zum Export in die Hafenstadt am Roten Meer. Jedenfalls scheinen die Fahrer es eilig zu haben und dabei Kopf und Kragen zu riskieren. Als wir den Desert Highway wieder verlassen, ist der Ärger über den Verkehr schnell verflogen. Eine schmale Teerstraße führt uns in die Felsenwüste des Wadi Rum. Hier türmen sich gewaltige Standsteinfelsen auf, 30 Millionen Jahre alt. Der Wind und die extremen Temperaturen haben diese Wüstenmonumente geschaffen. Zum Greifen nah sind sie für uns. Auf der Strecke treffen wir die ersten „Kollegen“. Zwei Mountainbiker aus der Schweiz. Groß ist der Fanclub in Jordanien nicht. Das Fahrrad als Verkehrsmittel ist völlig unpopulär. Vorsichtig geschätzt gibt es vielleicht hundert davon, bei einer Einwohnerzahl von vier Millionen. Ein Fahrradladen ist uns nicht begegnet, die Versorgungslage mit Ersatzteilen ist desolat. Ein Glück also, daß es keine ernsten technischen Probleme gab. Die Schlösser für unsere Drahtesel haben wir übrigens zu Hause gelassen. Auch unabgeschlossen werden sie in Jordanien nicht angerührt.

Reiseliteratur: Yvonne Schmidt: „Jordanien mit Westbank“, edition aragon, 1995, 2. überarbeitete Ausgabe, 405 Seiten, 39,80 DM